Helmuth Heyer: 10. Mai 1933 „Ehrentag der freien deutschen Literatur“

– zur  BÜCHER-VERBRENNUNG  in  BONN

Quelle : Aufsatz in den „Bonner Geschichtsblättern 51/52, 2001/2002, S. 285-328

 

Heyer Bonn Bücherverbrennung„70 Jahre nach der Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 stellt sich die berechtigte Frage, ob die Erinnerung an diesen Tag einer erneuten Rückblende bedürfe und ob diesem im Vergleich zu den Verbrennungsöfen von Auschwitz und Maidanek zunächst noch harmlosen Spektakel der lodernden Scheiterhaufen in den deutschen Universitätsstädten nicht zu große Bedeutung und Bewertung beigemessen werde. Gewiß, es war ein geschmackloses Schauspiel, das aber dennoch eine Vorahnung auf weit grauenvollere Rückfälle in die Barbarei gab, die die Geschichte des Dritten Reichs in unvorstellbarem Maße in den zwölf Jahren ihrer Existenz aufzuweisen hat. Hinter der Bücherverbrennung des 10. Mai 1933 läßt sich bereits die aus Terror und Propaganda, aus Folter und gewaltigen Parteitagsaufmärschen bestehende Funktion des Nationalsozialismus erkennen. So wie damals Professoren und Studenten der deutschen Sprache und Literatur als Henkersknechte zum Gelingen dieses politisch gut geplanten und an Dramaturgie kaum zu überbietenden Vorgangs beitrugen, gibt es gegenwärtig erschreckende Anzeichen, daß sich bei jungen Deutschen wieder das Verlangen bemerkbar macht, die unrühmliche NS-Vergangenheit nicht nur zu vergessen oder zu verdrängen, sondern nach Beweismitteln zu ihrer Rechtfertigung zu suchen. Es fragt sich,ob alle Bemühungen unzulänglich geblieben sind, die Inhumanität der NS-Diktatur allen jungen Deutschen bewußt werden zu lassen.

Seit Druckwerke mit politischer, kultureller, wissenschaftlicher oder gesellschaftlicher Aussage das Interesse der Öffentlichkeit erwecken und mit ihrer Aussage eine den Leser beeinflussende Wirkung erzielen bzw. erzielen wollen, die nicht den Ansichten und Intentionen der Herrschenden entspricht bzw. dem Gedankengut der jeweiligen Zeit widerspricht, hat es schon immer Verbote, Beschlagnahmungen und schließlich gar öffentliche Bücherverbrennungen gegeben. In seinen Lebenserinnerungen „Dichtung und Wahrheit“ berichtet Johann Wolfgang von GOETHE im Rückblick auf die Frankfurter Zeit seiner Jugendjahre über das Miterleben eines ihn sehr beeindruckenden Vorfalls, einer solchen öffentlichen Bücherverbrennung:

 „So wurde ich denn als junger Bewohner einer großen Stadt von einem Gegenstand zum anderen hin und wider geworfen, und es fehlte mitten in der bürgerlichen Ruhe und Sicherheit nicht an gräßlichen Auftritten… Wir mußten Zeugen von verschiedenen Exekutionen sein, und es ist wohl wert zu gedenken, daß ich auch bei der Verbrennung eines Buchs gegenwärtig gewesen bin. Es war der Verlag eines französischen komischen Romans, der zwar den Staat, aber nicht Religion und Sitten schonte. Es hatte wirklich etwas Fürchterliches, eine Strafe an einem leblosen Wesen ausgeübt zu sehen. Die Ballen platzten im Feuer und wurden durch Ofengabeln auseinander geschürt und mit den Flammen mehr in Berührung gebracht. Es dauerte nicht lange, so flogen die angebrannten Blätter in der Luft herum, und die Menge haschte begierig darnach. Auch ruhten wir nicht, bis wir ein Exemplar auftrieben, und es waren nicht wenige, die sich das verbotene Vergnügen gleichfalls zu verschaffen wußten. Ja, wenn es dem Autor um Publizität zu tun war, so hätte er selbst nicht besser dafür sorgen können.“

Und in der Tragödie „Almansor“, in der Heinrich HEINE den in katholischen Augen historischen Freiheitskampf des spanischen Volkes gegen die maurische Herrschaft schildert, berichtet der Maure Almansor seinem Gefährten Hassan, daß der furchtbare Ximenes auf dem Markt zu Granada den Koran in die Flammen eines Scheiterhaufens geworfen habe, worauf ihm Hassan antwortet:

 „Das war nur ein Vorspiel; dort, wo man Bücher verbrennt,

verbrennt man am Ende auch Menschen.“

Diese gerade bei Heinrich Heine wie eine Vision anmutenden Worte aus dem Jahre 1821 wurden 112 Jahre später zur erschreckenden Realität, als am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz in Berlin und vielen Plätzen der Universitätsstädte des Deutschen Reichs solche Scheiterhaufen wie damals in Granada errichtet wurden. Damit begann zugleich auch jene furchtbare Barbarei des Nationalsozialismus, die Millionen unschuldiger Menschen in die Verbrennungsöfen der Vernichtungslager trieb.

Hierzu schrieb das „Börsenblatt für den deutschen Buchhandel“ – Leipzig – am 5. Mai 1951 unter der Überschrift „Die Flammen jener Scheiterhaufen sind noch nicht erloschen“: „Auf dem Scheiterhaufen wurden die Bücher verbrannt, die von Goebbels und den von ihm bestellten ‘Aktionskomitee’ in ‘Schwarzen Listen’ als ‘undeutsch’ oder als ‘Schmutz- und Schundliteratur’ deklariert worden waren. Es verbrannten die Werke aller Autoren, die die Größe des freiheitlichen und humanistischen Deutschlands repräsentierten. Es waren die Schriften der Lehrmeister des Sozialismus, ein großer Teil der Klassiker aus dem Zeitalter der Aufklärung und fast die ganze zeitgenössische Literatur. Die Kultur wurde vernichtet, damit sich die Barbarei erheben konnte, in deren mörderischem Gefolge sich auch der totale Krieg befand. Er kündigte sich bereits in den Militärmärschen an, mit denen die Bücherverbrennung des 10. Mai 1933 begann, und in dem von Goebbels Parteiblatt ‚Angriff‘ bejubelten Gesang alter Kriegslieder, die schließlich in dem gemeinsamen Gesang einer Strophe von ‘Volk ans Gewehr’ ihr Ende fanden.

Aus dem nationalsozialistischen Deutschland zogen mehr als 250 Schriftsteller aus – viele bedeutende und viele berühmte Autoren deutscher Zunge unter ihnen. Es waren Lyriker, Dramatiker, Essayisten, Romanciers, Kritiker, Philosophen, es gab unter ihnen Konservative, Liberale, Pazifisten, Kommunisten und auch viele, die jede parteiisch politische Äußerung vermieden hatten. Miteinander verbunden aber waren sie alle durch das Bewußtsein, daß ein schöpferischer Deutscher von Selbstachtung und von Achtung für die Würde und Freiheit der Literatur nicht mit dem Regime des Antigeistes paktieren konnte. Doch konnten sich angesichts der veränderten politischen Lage nach dem am 30. Januar 1933 vollzogenen Machtwechsel viele nicht von heute auf morgen zur Emigration entschließen und warteten erst einmal ab, wahrscheinlich wohl auch in der Hoffnung, daß die außer Wilhelm Frick (Innenministerium) und Hermann Göring (ohne Geschäftsbereich) nicht der NSDAP angehörenden Mitglieder des neuen Kabinetts einer absoluten Macht Hitlers Grenzen setzen würden, und schoben zukunftsweisende Entschlüsse bis auf weiteres hinaus. Sollte nicht der Hüter der Verfassung, der honorige, fast einem Mythos gleichende Reichspräsident Paul von Hindenburg, ein Garant für die Einhaltung der bestehenden Gesetze sein? Herrschte nicht, und gerade im kulturellen Bereich, weitgehend die Überzeugung, die Gefahr eines Verfassungsbruchs für undenkbar zu halten? Doch kam es da nicht purer Kurzsichtigkeit gleich, die am 4. Februar, nur wenige Tage nach der Berufung Hitlers zum Reichskanzler erlassene „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes“ in ihrer Bedeutung nicht vorausschauend zu bewerten? Mit dieser Verordnung wurde die Presse-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit wesentlich eingeengt und politische Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel einer Vorkontrolle unterzogen. Dem gleichen Ermessen oblag die Beschlagnahme und das Verbot von Druckschriften, „deren Inhalt geeignet ist, die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu gefährden“. Mit dieser Verordnung war ganz eindeutig ein erster entscheidender Schritt nicht nur in Richtung der Anfang März im Deutschen Reich anstehenden Reichstags- und eine Woche später Kommunalwahlen in Preußen getan, sie legte zugleich der Presse Fesseln an, schloß unerwünschte öffentliche Publikationen aus und war folglich ein Vorläufer der schon bald einsetzenden totalen Meinungsbeeinflussung. Die Tür zur „Gleichschaltung“ war einen kleinen Spalt aufgetan.

Vielen Dichtern und Schriftstellern, die Deutschland in den Jahren der NS-Diktatur aus eigener Initiative freiwillig oder unter Druck und Zwang verließen, war es nicht vergönnt, das zwölf Jahre später von ihren Peinigern befreite Land zu erleben oder gar in die von ihnen verlassene Heimat zurückzukehren.

Wie Carl von Ossietzky, Erich Mühsam, Adam Kuckhoff und Felix Fechenbach, die nicht mehr zu entkommen vermochten, in Zuchthäusern starben, in Konzentrationslagern hingerichtet oder in Vernichtungslagern vergast wurden, so fielen ihren Verfolgern auch im Ausland etliche emigrierte Schriftsteller zum Opfer.

Theodor Lessing wurde in der Tschechoslowakei von gedungenen Mördern erschossen, E. Alfons Rheinhardt im besetzten Südfrankreich gefangen und in Dachau umgebracht, Johannes Wüsten in Paris ergriffen und in einem Zuchthaus getötet. Franz Hessel starb in einem französischen Internierungslager, der Kritiker Hans Arno Joachim geriet in Frankreich in die Hände der Gestapo und verschwand dabei, der Romanschriftsteller Georg Hermann wurde in Holland gefangen und in Auschwitz vergast.

Der Dramatiker Walter Hasenclever nahm sich in einem französischen Internierungslager das Leben, der Schriftsteller Walter Benjamin an der spanisch-französischen Grenze in Port Bou. Der Romanschriftsteller Ernst Weiß tötete sich, als er in Paris die deutsche Wehrmacht einrücken sah, der Kunsthistoriker Carl Einstein ertrank bei der Verfolgung durch die SS in einem südfranzösischen Fluß. Kurt Tucholsky, Ernst Toller und Stefan Zweig zerbrachen an der Fremde, Rudolf Olten ertrank, als sein Schiff auf der Überfahrt von England nach Kanada von einem deutschen U-Boot torpediert wurde.

Bereits vor 1933 gab es konkrete Anzeichen, um weitsichtigen Künstlern und Schriftstellern die Augen zu öffnen und ihnen eine vage Vorstellung von bevorstehenden Zwängen unter einer von Adolf Hitler geführten Regierung oder gar ausgeübten Diktatur zu vermitteln. In seinem programmatischen Werk „Mein Kampf“ äußerte sich Hitler fast zehn Jahre vor der Machtübernahme ganz eindeutig zu Fragen der Kunst und Kultur: „Eine der ersichtlichsten Verfallserscheinungen des alten Reiches war das langsame Herabsinken der allgemeinen Kulturhöhe… Schon vor der Jahrhundertwende begann sich in unsere Kunst ein Element einzuschieben, das bis dorthin als vollkommen fremd und unbekannt gelten durfte. Wohl fanden auch in früheren Zeiten manchmal Verirrungen des Geschmacks statt, allein es handelte sich in solchen Fällen doch mehr um künstlerische Entgleisungen, denen die Nachwelt wenigstens einen gewissen historischen Wert zuzubilligen vermochte, als um Erzeugnisse einer überhaupt nicht mehr künstlerischen, sondern vielmehr geistigen Entartung bis zur Geistlosigkeit. In ihnen begann sich der später freilich besser sichtbar werdende politische Zusammenbruch schon kulturell anzuzeigen.“

Mit welcher Rechtfertigung und mit welchen Mitteln der Nationalsozialismus nach seinem Machtantritt in Deutschland eine durchgreifende und unnachsichtige „Säuberung“ in sämtlichen kulturellen Bereichen vornehmen würde, war vorauszusehen, nachdem in den Proklamationen seiner Führer, in ihren Büchern und Kampfschriften, mit Drohungen im „Völkischen Beobachter“ und im „Angriff“; eine aufputschende Hetzpropaganda gegen die Entwicklung des kulturellen Lebens der Weimarer Republik, verbunden mit einem antisemitischen Haßfeldzug, erfolgt war. Dieser vorbereitende publizistische Sturm, von Hitler, Alfred Rosenberg und Goebbels sowie ihren Parteirednern und Schriftleitern entfesselt, richtete sich insbesondere auch an die Verleger, die „fremdrassige Autoren“ und „dekadente Literaturwerke“ herausgaben und die nationalen deutschen Schriftsteller ignorierten. Die ungehinderte breite Entfaltung des deutschen Kulturlebens nach dem Ersten Weltkrieg, die zu einer Hochblüte in der Theater-, Musik- und Kunstentwicklung geführt und einer Dichtung Bahn gebrochen hatte, die wegbereitend für die Literatur in Frankreich und Amerika werden sollte, wurde als „undeutsch“, als ein Werk der „jüdischen Zersetzer“ gebrandmarkt, mit dem das Deutschland Goethes und Mozarts planmäßig in den Abgrund geführt werden sollte.

Auf dieser Linie lag der von der Reichstagsfraktion der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter-partei (NSDAP) im März 1930 erfolglos vorgelegte Entwurf eines „Gesetzes zum Schutze der Nation“, der ganz spezielle Aussagen zum kulturellen Bereich enthielt: „Wer es unternimmt, deutsches Volkstum und deutsche Kulturgüter , insbesondere deutsche Sitten und Gebräuche zu verfälschen oder zu zersetzen oder fremdrassigen Einflüssen auszuliefern, wird wegen Kulturverrats mit Zuchthaus bestraft.“

War diese von damals nur zwölf Reichstagsabgeordneten eingebrachte Gesetzesvorlage noch als publizistische Marotte gedacht und von der deutschen Presse auch nicht anders gesehen und beurteilt, so wurde sie am 28. Februar 1933, einen Tag nach dem Reichstagsbrand und nur vier Wochen nach Hitlers Machtantritt, als „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat“ (die sog. Reichstagsbrandverordnung) und am gleichen Tage als „Verordnung des Reichspräsidenten gegen Verrat am deutschen Volke“ in Kraft gesetzt. Diesen Vorgang bezeichnete man später als Einleitung zur Reinigung des deutschen Schrifttums. Die dem Reichskanzler übertragenen Machtbefugnisse entsprachen der Vollmacht zur durchgreifenden moralischen Sanierung des „Volkskörpers“ und Einleitung einer großangelegten Säuberungsaktion. Mit diesen Verordnungen wurden praktisch die Bestimmungen der Reichsverfassung über Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts sowie des Brief-, Post- und Telegraphengeheimnisses aufgehoben.

Wer es verstand, die zwischen den Worten versteckten Aussagen und Drohungen herauszukristallisieren, wird auch den Hinweis auf die bevorstehenden Säuberungsaktionen jeglicher Art in der Rede Hitlers am 1. Mai 1933 nicht überhört, aber doch ganz sicher begriffen haben. So lauteten die letzten Sätze seiner theatralischen Rede: „Das deutsche Volk ist zu sich gekommen. Es wird Menschen, die nicht für Deutschland sind, nicht mehr unter sich dulden! Wir wollen uns den Wiederaufstieg der Nation durch unseren Fleiß, unsere Beharrlichkeit, unseren unerschütterlichen Willen ehrlich verdienen! Wir wollen tätig sein, uns brüderlich vertragen, gemeinsam ringen, auf daß einmal die Stunde kommt, da wir vor den Herrn hintreten können und ihn bitten dürfen: ‘Herr, du siehst, wir haben uns geändert. Das deutsche Volk ist nicht mehr das Volk der Ehrlosigkeit, der Schande, der Selbstzerfleischung, der Kleinmütigkeit. Nein, Herr, das deutsche Volk ist wieder stark in seinem Willen, stark in seiner Beharrlichkeit, stark im Ertragen aller Opfer. Herr, wir lassen nicht von dir! Nun segne unseren Kampf um unsere Freiheit und damit unser deutsches Volk und Vaterland!’“

Das gleich nach Hitlers „Machtergreifung“ niedergeschriebene Gedicht Martin Gumperts dringt auf den heutigen Leser wie ein Kassandraruf ein:

„Euch fehlt die Phantasie, was wahr wird, zu ersinnen.

Euch fehlt die Kraft, was wirklich wird, zu glauben,

daß man euch hinter Stacheldraht sperren wird,

daß man eure Bücher verbrennen wird,

daß man euch aus dem Lande vertreiben wird,

ohne daß eine Hand sich erhebt.“

Die Auflösung der Sektion für Dichtkunst in der Preußischen Akademie der Künste

Am 14. Februar 1933 wurde der ehemalige niedersächsische Gauleiter der NSDAP und wenige Tage zuvor zum kommissarischen Leiter des Preußischen Kultusministeriums ernannte Dr. Bernhard Rust von einem an allen Berliner Litfaßsäulen klebenden Plakat des „Internationalen Sozialistischen Kampfbundes“ mit dem Dringenden Appell“ zur Bildung einer aus SPD und KPD bestehenden „Volksfront“ zu den am 5. März bevorstehenden Neuwahlen des Anfang Februar vom Reichspräsidenten aufgelösten Reichstags in Kenntnis gesetzt. Dagegen wäre bei der Vielfalt der Plakatierungen in der Vorwahlzeit nichts einzuwenden gewesen, hätten sich nicht unter den Namen der Unterzeichner die Mitglieder der Preußischen Akademie der Künste Käthe Kollwitz und Heinrich Mann befunden. Schon in einer am gleichen Abend vor der Berliner Studentenschaft gehaltenen Rede über das Thema „Der nationalsozialistische Kulturwille“, in der Rust das später häufig benutzte Wort prägte „Nicht der Mensch ist das Maß der Dinge, sondern die Nation“, ging er auch auf den vom Präsidenten der Dichter-Akademie mitunterzeichneten „Dringenden Appell“ mit der Erklärung ein, daß er als Kurator der Akademie der Künste diesem Skandal ein Ende bereiten und unter den Mitgliedern der Akademie eine schnelle Säuberung vornehmen werde.

Die Geduld wurde auf keine lange Probe gestellt, denn schon am darauffolgenden Tage berief der Präsident der Akademie, der Komponist und Dirigent Max von Schillings, nach einer Aussprache mit dem Reichskommissar zu einer außerordentlichen Sitzung ein, um „lebenswichtige Fragen“ zu erörtern. Den Erschienenen teilte er mit, daß Dr. Rust die Auflösung der Akademie in Erwägung ziehe, falls die Mitglieder Käthe Kollwitz und Heinrich Mann nicht aus dem Kreis der Akademie ausscheiden würden. Er teilte ferner mit, daß Frau Kollwitz „in Erkenntnis des Unrichtigen ihres Verhaltens“ bereits ihren Austritt aus der Akademie erklärt habe und es sich folglich nur noch um den „Fall Heinrich Mann“ handle.

In einer daraufhin außerhalb der Sitzung stattgefundenen Aussprache zwischen dem Präsidenten und Heinrich Mann erklärte sich dieser bereit, sein Amt als Vorsitzender der Abteilung für Dichtkunst niederzulegen und aus der Akademie auszuscheiden. Er erkannte dabei an, daß der Präsident nicht habe anders handeln können, da er an das Wohl und das Weiterbestehen der Akademie der Künste denken müsse. Allein der Berliner Stadtbaurat Dr. Wagner protestierte gegen den Druck, der auf die Akademie ausgeübt wurde, fand aber für seinen Standpunkt, daß Käthe Kollwitz und Heinrich Mann nur von ihrem Staatsbürgerrecht der freien Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hätten, überraschend wenig Zustimmung, was ihn veranlaßte, ebenfalls aus der Akademie auszuscheiden. Nur die Schriftsteller Leonhard Frank und Alfred Döblin wagten einen vorläufigen Protest, ohne den entscheidenden letzten Schritt zu vollziehen.

Käthe Kollwitz galt als eine der befähigsten deutschen Graphikerinnen, deren Werke weltweit Anerkennung fanden. Die von ihr gestalteten Skulpturen „Die Eltern“, die jedermann den hohen Grad der Menschlichkeit in ihrem künstlerischen Schaffen erkennen lassen, waren im Jahr zuvor auf dem deutschen Soldatenfriedhof bei Dixmuiden in Belgien aufgestellt worden. Sie galten dem Andenken ihres Sohns, der im Ersten Weltkrieg auf den Schlachtfeldern in Flandern gefallen war.

Heinrich Mann zählte zu den führenden Romanschriftstellern Deutschlands; wie Käthe Kollwitz hatte auch er schon in der Vorkriegszeit internationalen Ruf gewonnen, aber auch den Haß vieler hoher Repräsentanten des wilhelminischen Zeitalters auf sich gezogen.

Noch, drei Wochen nach Hitlers Machtübernahme, gab es in der deutschen Presse kritische Kommentare. So schrieb die „Welt am Abend“ zu den Vorgängen am 14./15. Februar in ihrer Ausgabe am 20. Februar 1933: „Was hatte Heinrich Mann verbrochen? Er hatte zusammen mit einigen anderen Männern und Frauen des Geistes und der Künste einen Aufruf unterzeichnet, der einem einheitlichen Zusammengehen der beiden Arbeiterparteien bei den Wahlen das Wort redete.“

Für den 13. März 1933 wurden die Mitglieder der Akademieabteilung für Dichtung erneut zu einer „Stellungnahme zu lebenswichtigen Fragen der Abteilung“ zusammengerufen. Die beiden wesentlichsten Anlässe dürften der Einsatz Gottfried Benns zum kommissarischen Vorsitzenden der Abteilung und die Verabschiedung einer von ihm zuvor entworfenen und von allen Mitgliedern zu unterzeichnenden Erklärung gewesen sein, in der sie die veränderte geschichtliche Lage anerkennen, auf eine öffentliche politische Betätigung gegen die neue Regierung verzichten und sich zu einer loyalen Mitarbeit „an den satzungsgemäß der Akademie zufallenden kulturellen Aufgaben der Nation“ verpflichten sollten.

Lediglich Alfred Döblin, Alfons Paquet, Ricarda Huch und Thomas Mann verweigerten ihre Zustimmung und erklärten ihren Austritt aus der Akademie der Künste.

In seinen „Erinnerungen und Gedanken“ schreibt Golo Mann über den Briefwechsel, den Ricarda Huch, „diese großartige Frau“, in diesem Zusammenhang mit dem Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste, Max von Schillings, führte. Zu der in ihren Augen geradezu ungehörigen Erklärung schrieb sie u.a.: „Daß ein Deutscher deutsch empfindet, möchte ich fast für selbstverständlich halten, aber was deutsch ist und wie Deutschtum sich bestätigen soll, darüber gibt es verschiedene Meinungen. Was die jetzige Regierung als nationale Gesinnung verschreibt, ist nicht mein Deutschtum. Die Zentralisierung, den Zwang, die brutalen Methoden, die Diffamierung Andersdenkender, das prahlerische Selbstlob halte ich für undeutsch und unheilvoll. Bei meiner so sehr abweichenden Auffassung halte ich es für unmöglich, in einer staatlichen Akademie zu bleiben.“

Wahrscheinlich hatte man nicht nur mit vier Verweigerungen, hingegen mit einer weitaus größeren Austrittswelle aufgrund der erzwungenen Erklärung gerechnet. Um sich der noch immer verbliebenen unerwünschten Mitglieder zu entledigen, blieb jetzt nur noch deren regulärer Ausschluß, den schließlich das zeitlich in das Räderwerk der großen Säuberungsaktion passende und am 7. Apri1 1933 erlassene „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ ermöglichte. Dieses Gesetz, das ganz im Gegensatz zu seiner Benennung unter geradezu zynischer Umkehrung des eigentlichen Sachverhalts, nicht etwa der Wiederherstellung, sondern im nationalsozialistischen Sinne der politischen Ausrichtung des Berufsbeamtentums diente, verschaffte der neuen Staatsführung eine wesentliche Voraussetzung für den weiteren Ausbau ihrer Diktatur.

Unter Anwendung der in den §§ 3 und 4 vorgesehenen Bestimmungen konnten die Entlassung und Entfernung „nichtarischer“ und mißliebiger Akademiemitglieder problemlos vorgenommen werden, selbst auch dann, wenn diese nicht zum Berufsstand der Beamten zählten. So wurde den von dieser nun anlaufenden verwaltungsbürokratischen Maßnahme betroffenen Leonhard Frank, Ludwig Fulda, Georg Kaiser, Bernhard Kellermann, Alfred Mombert, Rudolf Pannwitz, René Schickele, Fritz von Unruh, Jakob Wassermann und Franz Werfel Anfang Mai 1933 mitgeteilt, daß sie „gemäß den für die Neuordnung der kulturellen staatlichen Institute Preußens geltenden Grundsätzen nicht mehr zu den Mitgliedern der Abteilung für Dichtung gezählt werden können“.

Letztlich waren vom freiwilligen Austritt bzw. dem aus rassischen und politischen Gründen erfolgten Ausschluß bis zum 8. Mai 1933 insgesamt 15 der ursprünglich 31 ordentlichen Mitglieder der Literaturabteilung der Akademie der Künste betroffen.

Schon bald gelang es, durch gezielte Neuwahlen die Sektion für Dichtung zu einem Gremium umzuformen, das gewillt war, den geänderten politischen Bedingungen Rechnung zu tragen. Zu den 16 im Rahmen der großen Säuberungsaktion weder ausgetretenen noch ausgeschlossenen und damit verbliebenen Mitgliedern sollte die Zahl von zuvor 31 durch Neuberufungen auf 40 erhöht werden. Da aber Hans Carossa und Ernst Jünger ihre Berufung ablehnten, blieb es bei den folgenden 22 neu berufenen Mitgliedern:

Werner Beumelburg, Hans Friedrich Blunck, Hermann Claudius, Peter Dörfler, Paul Ernst, Gustav Frenssen, Friedrich Griese, Hans Grimm, Rudolf Huch, Enrica von Handel-Mazzetti, Hanns Johst, Erwin Guido Kolbenheyer, Isolde Kurz, Heinrich Lersch, Agnes Miegel, Börries von Münchhausen, Wilhelm Schäfer, Jakob Schaffner, Johannes Schlaf, Emil Strauß, Will Vesper und Joseph Wehner.

In diese Zeit fiel auch am 11. März mit der erzwungenen Auflösung des von ARNOLD ZWEIG geleiteten „Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller“ der nächste entscheidende, jedoch in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Hieb in der nationalsozialistischen Literaturpolitik.

Nach dem Rücktritt der acht bisherigen Präsidiumsmitglieder wurde am 4. Mai 1933 ein neuer Vorstand gewählt, dessen Leitung der kulturpolitische Redakteur der Berliner Ausgabe des „Völkischen Beobachters“, Götz Otto Stoffregen, übernahm. Doch auch die Tage des angepaßten Schutzverbandes waren gezählt, er ging wenig später im neu gebildeten „Reichsverband Deutscher Schriftsteller“ auf, der dann ebenfalls von Stoffregen geleitet wurde.

In einem Festakt fand am 7. Juni 1933 die Konstituierung der nunmehr neugebildeten „Abteilung für Dichtung“ in der Preußischen Akademie der Künste statt. Der inzwischen zum Kultusminister avancierte Reichskommissar Rust brachte in seiner Rede zum Ausdruck, daß die Preußische Akademie nicht Gegenstand enger staatlicher Erziehungsarbeit sei, sondern dem großdeutschen Gedanken Raum geben soll. Preußens Aufgabe sei es, einem „Großdeutschland“ den Weg zu bereiten. Und so war denn auch in der deutschen Presse wenige Tage später, für die Öffentlichkeit bestimmt, zu lesen: „Aus dem betont außervölkischen Zustand ihrer früheren Zusammensetzung ist die Abteilung für Dichtkunst zu einem volksbewußten und artgerechten Lebenskörper umgebaut worden. Daher darf und will sie auch in ihrer Entwicklung der lebendigen Entwicklung des Reiches Ausdruck verleihen und erklärt sich unter Wahrung der bisherigen Rechtsgrundlagen reichszuständig als die ‘Deutsche Akademie der Dichtung’.“

Die Grundwerte, die es im ‘Kulturkampf’ des Nationalsozialismus zu prägen und zu verteidigen gab, hätten nicht besser und konsequenter zum Ausdruck gebracht werden können, als in dem 1933 von Heinz Kindermann herausgegebenen Buch „Des deutschen Dichters Sendung in der Gegenwart“, dessen Vorwort lautete:

 „In den Stunden, da diese Zeilen geschrieben werden, dröhnt durch Deutschland der Marschtritt der Regimenter der nationalen Revolution. Das Volk ist im Aufbruch. Was Millionen in schweren Nächten ersehnten, nimmt Gestalt an. Was an Morschem gestern noch Ewigkeiten zu überdauern schien, die erwachende Nation fegt es beiseite. Die Gemeinschaft all der Künstler deutscher Art ist im Werden. Blut und Boden werden wieder bestimmende Substanz. Nichts nützt den Feigen, Lauen und Absterbenden ihr Gegröle von deutscher Barbarei. Vor dem lebendigen deutschen Volkstum zerstiebt das Gejammer der Ewig-Gestrigen. Die schöpferischen Deutschen, die Erwecker und Künder der Sehnsucht unserer Herzen, recken sich in reiner Luft und stehen schaffensdurstig Schulter an Schulter mit dem Blutsbruder von Pflug und Schraubstock, verpflichten sich dem Führer, dem Schöpfer, dem Künder. Wieder hält die Welt vor Deutschland, das zu sich fand, den Atem an. Der Spuk der Wurzellosen ist zu Ende.“

Der Nationalsozialismus als völkische Bewegung hat sich auf eine Auseinandersetzung mit der ‘Moderne’ nie eingelassen, für ihn gab es angesichts der vielgestaltigen, widersprüchlichen und oft auseinanderstrebenden Erscheinungswelt des Umbruchs nur den Generalnenner des „Zersetzenden“ und „Volksfremden“. Mit dem totalen Anspruch, „das Deutsche“ zu verkörpern, verband sich die logische Folgerung, in jedem Widersacher den „Fremdling“, den „Juden“ zu demaskieren und, war er selbst nicht Jude, ihn als „Judenfreund“ abzustempeln. Der „fäulniserregende Träger undeutschen Geistes“ war kein Gegner, mit dem man sich auf irgendeiner Ebene noch hätte treffen können, sondern der Feind, mit dem abgerechnet, der eliminiert werden mußte.

Die Verhaftungen nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 mußten alle demokratisch gesinnten Schriftsteller vor die Frage ihres Verbleibens in Deutschland stellen. Unter erschwerten Fluchtbedingungen (strenge Grenzüberwachung, Einführung von Ausreisevisa, Fahndungslisten, Verhaftungen) verließen noch am 28. Februar und im Verlaufe des Monats März folgende Schriftsteller Deutschland:

Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Kurt Grossmann, Bruno Frank, Annette Kolb, Leo Lania, Ludwig Marcuse, Ernst Aufricht, Theodor Balk, Walter Benjamin, Joseph Bernstein, Ernst Bloch, Otto Braun, Rudolf Breitscheid, Bernard von Brentano, Ferdinand Bruckner, Fritz Erpenbeck, Heinrich Fischer, Ruth Fischer, Leonhard Frank, Bruno Frei, Alexander Moritz Frey, Hellmuth von Gerlach, Alfons Goldschmidt, Julius Hay, John Heartfield, Thomas Theodor Heine, Georg Hermann, Max Herrmann-Neiße, Wieland Herzfelde, Rudolf Hilferding, Franz Hölling, Julius Hollos, Ödon von Horvath, Alfred Kantorowicz, Harry Graf Kessler, Hermann Kesten, Siegfried Kracauer, Else Lasker-Schüler, Theodor Lessing, Hubertus Prinz von Löwenstein, Erika und Klaus Mann, Leo L. Matthias, Hermynia zur Mühlen, Willy Münzenberg, Ernst Erich Noth, Balder Olden, Rudolf Olden, Karl Otten, Franz Pfemfert, Theodor Plievier, Heinz Pol, Alfred Polgar, Gustav Regler, Hans José Rehfisch, Kurt Reinhold, Hans Sahl, Maximilian Scheer, Karl Schnog, Franz Schoenberner, Wilhelm Speyer Leopold Schwarzschild, Fritz Sternberg, Wilhelm Sternfeld, Otto Strasser, Gabriele Tergit, Adrienne Thomas, Jesse Thoor, Werner Türk, Berthold Viertel, Gustav von Wangenheim, Margarete und F. C. Weiskopf, Paul Westheim, Harry Wilde, Friedrich Wolf, Theodor Wolff, Alfred Wolfenstein, Karl Wolfskehl, Hedda Zinner, H. F. von Zwehl, Arnold Zweig.

Am 29. Juni 1933 teilte der „Berliner Lokal-Anzeiger“ u.a. unter dem Titel „Deutsches Schrifttum geeinigt“ mit, daß der am 9. Juni 1933 gegründete „Reichsverband Deutscher Schriftsteller“ am 28. Juni den Aufbau seiner Fachschaften zum Abschluß gebracht habe. Der Verband setze sich zusammen aus den Fachschaften: Erzähler, Tagesschriftsteller, Übersetzer, Rundfunk, Textdichter, Lyriker, Kritiker, wissenschaftliche und Fachschriftsteller und Film. Es bestehe die Absicht, den Verband zu einer Zwangsorganisation auszubauen, deren Mitgliedschaft in Zukunft entscheidend dafür sein werde, ob ein Schriftwerk in Deutschland verlegt werden könne oder nicht. Neben dem „Reichsverband Deutscher Schriftsteller“ werde es keine anderen Berufsorganisationen seiner Art mehr geben. Mitglieder können nur „deutschblütige“, „politisch einwandfreie“ Schriftsteller werden. Zweck und Ziel des Verbandes standen fest.

Eine völlige staatliche Kontrolle der Medien war noch immer nicht gegeben. Die legale Überwachung jedes Autors und Künstlers, der mit irgendeinem Werk an die Öffentlichkeit treten wollte, ermöglichte erst das am 22. September 1933 verabschiedete Gesetz zur Errichtung einer Reichskulturkammer. Es war das eigentliche ‘Ermächtigungsgesetz’ für den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Dr. Joseph Goebbels, denn es beauftragte und ermächtigte ihn, alle im künstlerischen oder publizistischen Bereich tätigen Deutschen in entsprechenden Körperschaften des öffentlichen Rechts zusammenzufassen und die nachstehenden sieben Kammern zu errichten: Reichschrifttumskammer (RSK), Reichspressekammer, Reichsrundfunkkammer, Reichstheaterkammer, Reichsmusikkammer, Reichskammer für Bildende Künste und Reichsfilmkammer.

Damit war das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda oberste Instanz aller Kontrollorgane und zuständig für die Überwachung der gesamten deutschsprachigen Literatur. Es hatte eine kunstpolitische Befehlsgewalt an sich gezogen. Der Minister war zugleich Präsident der Reichskulturkammer. In einer seiner Anordnungen hieß es:

 „Es gehört zu den Obliegenheiten der Reichsschrifttumskammer, das deutsche Kulturleben von allem schädlichen und unerwünschten Schrifttum reinzuhalten… Die Reichsschrifttumskammer führt eine Liste solcher Bücher und Schriften, die das nationalsozialistische Kunstwollen gefährden. Die Verbreitung dieser Bücher und Schriften durch öffentlich zugängliche Büchereien und durch den Buchhandel in jeder Form [Verlag, Ladenbuchhandel, Versandbuchhandel, Reisebuchhandel, Leihbüchereien usw.] ist untersagt.“

Um die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften nur einigermaßen zu garantieren und die angestrebte radikale Zensur zu gewährleisten, war ein noch nicht dagewesener Aufwand an Verwaltungseinrichtungen erforderlich. Mit diesem Instrumentarium wurde das reiche künstlerische und literarische Leben, das in Deutschland vor 1933 herrschte, weitgehend zerstört oder ins Exil getrieben.

Um eine Schreib-, Vortrags- und- Veröffentlichungserlaubnis zu erhalten, mußten sich die Schriftsteller, die in einer „Autorenstammrolle“ geführt und von denen „arische“ Gutachten eingeholt wurden, bei ihrer Aufnahme in die Kammer schriftlich verpflichten, dem NS-Staat zu dienen. Mit diesem Zwang zur Erfassung war einerseits der Ausschluß aller jüdischen und auch politisch mißliebigen Autoren gewährleistet, andererseits unterwarfen sich die eingetragenen „arischen“ Autoren der ideologischen Loyalität und damit der politischen Überwachungsinstanz der Kammer.

Durch die zwangsweise Erfassung sämtlicher Schriftsteller, Verleger, Buchhändler und Büchereileiter in der Reichsschrifttumskammer waren praktisch alle ‘Schrifttumsschaffenden’ sichergestellt. Jeder konnte durch einen Ausschluß, gegen den ein Widerspruch unmöglich war, an der Ausübung seines Berufes gehindert werden.

In den Jahren von 1933 – 1945 wurden die folgenden deutschen Autoren entweder

aus der RSK ausgeschlossen oder erhielten Arbeitsverbote:

Gottfried Benn – 1936 Schreibverbot

Werner Bergengruen – 1937 Kammerausschluß

Friedrich Bischoff – 1933 verhaftet

Kasimir Edschmid – 1933 Vortragsverbot, 1940 Papierentzug

Axel Eggebrecht – 1933 längere Gefängnishaft

Wilhelm Hausenstein – 1943 Kammerausschluß

Bernt von Heiseler – 1942 Papierentzug

Hermann Kasack – Vortragsverbot

Erich Kästner – 1939 Aufnahmeverweigerung

Jochen Klepper – 1937 Kammerausschluß

Elisabeth Langgässer – 1936 Schreibverbot, Einsatz als Zwangsarbeiterin

Reinhold Schneider – 1941 Druckverbot, Anklage des Reichssicherheitshauptamtes

Rudolf Alexander Schröder – 1941 Vortragsverbot

Ehm Welk – KZ-Haft, Schreibverbot

Leo Weismantel – KZ-Haft

Ernst Wiechert – seit 1934 Gestapoaufsicht, KZ-Haft in Buchenwald

Albrecht Haushofer – Hinrichtung im April 1945

Ricarda Huch – 1937 Anklage auf Grund des sog. Heimtückegesetzes.

Es war die Taktik der fortwährenden heimlichen Beobachtung, die ein Klima ständiger Bedrohung verursachte. Vor allem jene Dichter und Schriftsteller, die auf Grund ihrer Vergangenheit, ihrer Herkunft oder ihrer Tätigkeit vor dem Jahre 1933 verdächtig waren, sahen sich der Gefahr der Verhaftung und Verfolgung ausgesetzt.

Ganz anders sah es hingegen der unmittelbare Machthaber, Goebbels, in seiner Ansprache bei der Eröffnung der Reichskulturkammer am 15. November 1933 in der Berliner Krolloper: „Nicht einengen wollen wir die künstlerisch-kulturelle Entwicklung, sondern fördern. Niemand fürchte, daß hier die Gesinnungsriecherei eine Heimstatt finden könnte. Niemand befiehlt. Wir wollen nur die guten Schutzpatrone der deutschen Kunst und Kultur auf allen Gebieten sein.“

Doch die Realität sah anders aus. Die Eintragung in eine der Stammrollen der sieben Fachkammern wurde schlechthin zur Existenzfrage. Der Restaurator wie der Städteplaner, der Bildpostkartenverkäufer wie der Bühnenbildner, der Angestellte eines Kunstauktionators, ja selbst der Zeitungshändler durften nach dem 15. Dezember 1933 ihren Beruf nur unter der Voraussetzung ausüben, daß ihre Anträge zur Aufnahme in die Reichskulturkammer genehmigt worden waren. Wem jedoch die Aufnahme verweigert wurde, der verlor damit das Recht, einen kulturellen Beruf auszuüben.

Nach einer gewissen Anlaufzeit wurde am 10. April 1935 das „Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften“ vom 18. Dezember 1926 als überholt angesehen und mit einer „Anordnung des Präsidenten der Reichsschrifttumskammer über schädliches und unerwünschtes Schrifttum“ aufgehoben. In den drei Paragraphen dieser Anordnung wurde die künftige Regelung sowohl für das Verbot der Verbreitung solcher Bücher und Schriften, die das nationalsozialistische Kulturwollen gefährden, als auch für die Folgen bei festgestellten Verstößen getroffen.

Die Vorbereitung der Scheiterhaufen für die Weltliteratur

Im März und April 1933 überstürzten sich geradezu die politischen Ereignisse. Am 13. März wurde das Gesetz über die Errichtung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda vom Reichspräsidenten unterzeichnet und der bisherige Gauleiter von Berlin, Dr. Joseph Goebbels, zum Minister ernannt. Mit dem Begriff ‘Propaganda’ in der Namengebung des bislang unüblichen Ministeriums war er gar nicht zufrieden; Propaganda habe einen unangenehmen Beigeschmack. Doch lehnte Hitler seine Empfehlung, das Ressort in „Reichsministerium für Kultur und Volksaufklärung“ umzubenennen, strikt ab.

Trug die demütige Verneigung Hitlers vor dem greisen Feldmarschall von Hindenburg am 21. März 1933 beim feierlichen Staatsakt in Potsdam sicher wesentlich dazu bei, viele noch konservativ Denkende, besonders im studentischen Bereich, von der Wahrhaftigkeit der nationalen Erhebung zu überzeugen, so hätte allen noch immer Zweifelnden mit dem zwei Tage darauf am 23. März verabschiedeten „Ermächtigungsgesetz“ unzweideutig erkennbar werden müssen, daß Hitler weder durch Vizekanzler Franz von Papen noch durch Alfred Hugenberg oder von einem der anderen konservativen Minister der Reichsregierung von der unablässig in Erscheinung tretenden diktatorischen Machtausübung abzubringen war. Hatte bereits die nach dem Brand des Reichstagsgebäudes am 27. Februar am folgenden Tag erlassene Reichstagsbrandverordnung die demokratischen Bürgerrechte weitgehend außer Kraft gesetzt, so galt nun als legal, was die Regierung verfügte bzw. in ihrem Namen oder Auftrag geschah.

Hitler hatte sein Kabinett zunächst so angelegt, daß außer der Berufung von Wilhelm Frick zum Reichsinnenminister, von Hermann Göring zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich und zum Preußischen Ministerpräsidenten und Innenminister keiner der alten führenden Parteigenossen eine Ministerfunktion übertragen erhielt. Das täuschte zahllose Gutgläubige, wohl auch den Reichspräsidenten.

Denkwürdig ist, daß am 21. März 1933, im Schatten der Inszenierung des „Tags von Potsdam“, in der konstituierenden Sitzung des Anfang März neugewählten Reichstags drei Verordnungen verabschiedet wurden, die nicht nur die Machtansprüche der Nationalsozialisten erheblich stärkten, sondern mit ihnen Instrumente zur Beseitigung elementarer freiheitlich-demokratischer Rechte zum Einsatz kamen:

1. die „Verordnungdes Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung“. Nach dem sog. Heimtückegesetz wurde die Verbreitung „unwahrer“ Behauptungen, die angeblich das Ansehen des Reichs oder der Regierung schädigten, mit Gefängnis oder Zuchthaus bestraft. Es öffnete der Kriminalisierung privater Äußerungen und der Denunziation Tür und Tor, verhalf den neuen Machthabern, auch in die privaten Bereiche der Gesellschaft einzudringen und sie unter ihre Kontrolle zu bringen. Die ersten schon 1933 eingerichteten Konzentrationslager, u.a. Oranienburg, waren als Auffangstationen fest eingeplant.

2. die „Verordnung des Reichspräsidenten über die Gewährung von Straffreiheit“. Die sog. Amnestieverordnung verschaffte nationalsozialistischen Straftätern, die „im Kampf um die nationale Erhebung des deutschen Volkes“ rechtmäßig verurteilt waren, die Freiheit.

3. die „Verordnung der Reichsregierung über die Bildung von Sondergerichten“. Die Sondergerichtsverordnung diente vorrangig dem reibungslosen Funktionieren der Staatsmaschinerie. Mit strengen und abschreckenden Strafen sollten vorrangig Verstöße gegen die Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar und das Heimtückegesetz schnell und gründlich geahndet werden. Gegen Entscheidungen der Sondergerichte waren keine Rechtsmittel zulässig.

Diese Flut von Verordnungen und Gesetzen übertraf die Aufnahme- und Beurteilungsfähigkeit einer Vielzahl der deutschen Staatsbürger, die sich außerstande sahen, sie hinsichtlich der Beeinflussung ihres eigenen Lebensstils richtig einzuordnen.

An den deutschen Universitäten gaben die Verbände und Korporationen dem Nationalsozialismus eine starke ideologische und moralische Unterstützung, die sich an Deutlichkeit kaum überbieten ließ. Mit ihren rd. 50 000 Mitgliedern waren sie das stärkste und entscheidendste Reservoir des großdeutschen völkischen Gedankens an den Hochschulen, das von den Nationalsozialisten erschlossen werden konnte. Trotz aller Bemühungen von Historikern, Politologen und Psychologen in der Nachkriegszeit konnte letztlich doch nicht eindeutig begründet werden, weshalb der Nationalsozialismus gerade in den Reihen der akademischen Jugend in solch erstaunlichem Maße hatte Fuß fassen und mit dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) schon vor Hitlers Machtübernahme die Führung an sich reißen können. Mit großer Begeisterung waren viele Studenten bereit, zur nationalen Erneuerung und ‘Gegenrevolution’ zu 1918 beizutragen. Und es sollte kein lauwarmer Umbruch sein, den man gar mit Glacéhandschuhen hätte hinter sich bringen können.

Bereits vor der von Hitler im März 1933 gegebenen Anweisung „Theater, Kunst, Literatur, Kino, Presse, Plakat und Auslagen sind von den Erscheinungen einer verfaulenden Welt zu säubern“ und der von vielen aufgegriffenen und befolgten Worte „Was im Deutschen Reiche bisher sehr üppig wucherte, war das Unkraut, und das wollen wir ausrotten“, begannen bereits 1932 Studentenorganisationen und Ortsgruppen des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ Listen mit den Namen jener Schriftsteller aufzustellen und in Umlauf zu bringen, deren Werke als „undeutsch“ und „entartet“ galten. Im August 1932 war es dann der „Völkische Beobachter“, der ebenfalls eine Liste von Schriftstellern veröffentlichte, die als Repräsentanten einer „dekadenten Niedergangsperiode“ bezeichnet wurden und im Falle der Machtübernahme Hitlers mit generellem Schreibverbot zu rechnen hätten. Dem wußte Goebbels in seinem Hausblatt „Der Angriff“ noch in rüder Weise hinzuzusetzen: „Dieses schreibende Gesindel gehöre an die Wand gestellt.“

Beschäftigte sich schon in den Jahren vor dem Anbruch des Dritten Reichs der von Alfred Rosenberg geleitete „Kampfbund für deutsche Kultur“ unter dem Leitgedanken „Das Nordische in Vergangenheit und Gegenwart“ mit der Rettung und Erhaltung des von „volkszersetzenden Kräften“ bedrohten deutschen Kulturguts, so besteht bei den Zeitzeugen und Historikern wohl kein Zweifel, daß der Anstoß zu einer Aktion der Verbrennung marxistischer und jüdischer Literatur und zur Kaltstellung bzw. Entfernung ihrer Autoren aus dem anerkannten Kreis deutscher Schriftsteller, u.a. der Preußischen Akademie der Künste, von dem Mitte März 1933 errichteten Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda kam. Waren die Überlegungen und der Wille, die „undeutsche“ Literatur und Kunst mit allen Mitteln auszumerzen, vor 1933 nicht realisierbar, so dürfte der Anstoß, darüber ist man sich auch ohne Aktenbeweis sicher, von Joseph Goebbels selbst gekommen sein. In seinem Ministerium wurden die Vorbereitungen zur systematischen Durchführung des spektakulären Vorhabens getroffen und aufgrund seiner Anweisung die ersten offiziellen Schwarzen Listen mit der vernichtungswürdigen Literatur erstellt, die wenig später die Grundlage der gewaltsamen Entfernung und Verbrennung der indizierten Bücher bildeten.

Nachdem die „Berliner Nachtausgabe“ vom 26. März 1933 eine in drei Bereiche aufgeschlüsselte umfangreiche Zusammenstellung nicht erwünschter Autoren brachte, führte das Fehlen amtlicher Verbotslisten bei vielen zu der Annahme oder Erkenntnis, daß mit dieser Zeitungsveröffentlichung der von der Deutschen Studentenschaft geplanten Bücherverbrennung der regierungsoffizielle Charakter genommen werden sollte. Zumindest kam die Liste der Nachtausgabe den zum Sammeln der Bücher eingesetzten literarisch meist nicht sonderlich bewanderten Studenten doch sehr zu Hilfe, bot sie ihnen immerhin in der bevorstehenden Säuberungsaktion vorerst eine Orientierung hinsichtlich der als zersetzend diffamierten und folglich zu vernichtenden Werke.

Allein die in den Zeitungen veröffentlichten nichtamtlichen Listen der Autoren verbrennungswürdiger Literatur bieten keine ausreichende Erklärung dafür, weshalb sich ausgerechnet die Deutsche Studentenschaft schon wenige Wochen nach der Errichtung des Propagandaministeriums mit der auf eine Bücherverbrennung hinauslaufenden Aktion befaßte und nicht irgendeine Parteiorganisation, insbesondere der „Kampfbund für deutsche Kultur“. Einerseits sollte die bewußte außenpolitische Zurückhaltung des Ministers nach den mit großem Aufsehen verbundenen Ereignissen der zurückliegenden Wochen nicht unberücksichtigt bleiben, doch verrät andererseits „der Entschluß, unerwünschte Bücher, ja ganze Bibliotheksbestände zu vernichten, als ‘Aktion wider den undeutschen Geist’ von den Sachwaltern dieses Geistes selbst, Studenten und Professoren der deutschen Universitäten, als symbolische Handlung ausführen zu lassen, das wohldurchdachte Kalkül des 35jährigen Demagogen Joseph Goebbels, dem von Hitler aufgetragen war, in seinem neugegründeten Ministerium alle Aufgaben der geistigen Einwirkung auf die Nation zusammenzufassen. Mit diesem raffiniert ausgeklügelten Vorgang betrat er das von ihm zuvor nicht wahrgenommene Forum der Kunstpolitik.

In den Akten des Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda befindet sich abgelegt unter Aktion Dr. Herrmann ein Bündel von Manuskripten zur Entstehung der Schwarzen Listen, in dem eine Niederschrift des Dr. Wolfgang Herrmann insofern von besonderem Interesse ist, als er darin erklärt, daß die Maßstäbe für die Anfertigung von Schwarzen Listen von literaturpolitischer Natur seien und für sie die fundamentale, für jede politische Entscheidung notwendige Vorfrage gelte: Wer ist der eigentliche Feind ? Gegen wen richtet sich der Kampf ?

Doch wer waren nun die Autoren, die ein 29jähriger ehrgeiziger Bibliothekar zu einer Liste fügte, die ihrerseits eine Welle von Diskriminierung, von Existenzbedrohung und -vernichtung auslöste und zugleich einen gewaltigen Beaufsichtigungsapparat nach sich zog? Als jüdisch, kunstbolschewistisch, als Schmutz und Schund wurde von ihm diffamiert, was der „geistigen Wehrhaftmachung“, der „totalen Mobilmachung des deutschen Menschen“ (so Dr. Herrmann) im Wege zu stehen schien.

In einem Parteigerichtsverfahren, das Dr. Herrmann als Anhänger der Gregor-Strasser-Gruppe zu überführen suchte, erklärte er später, daß er im März 1933, kurze Zeit nach der Errichtung des Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, als nationalsozialistischer Bibliothekar höheren Parteistellen bekannt, den Auftrag erhalten habe, die ersten Schwarzen Listen anzufertigen und die Verbrennung der marxistischen und jüdischen Bücher einzuleiten. Er bestätigte ferner im Verlaufe des Verfahrens, daß die sog. „Aktion Dr. Herrmann“ nur eine inoffizielle Bezeichnung der vom Ministerium vorbereiteten Bücheraktion gewesen sei.

Die zwischen der Deutschen Studentenschaft und dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund schon seit Jahren spürbare Rivalität um die Vorherrschaft an den Universitäten drohte im Frühjahr 1933 zu eskalieren. So war die Bereitschaft der Führung der Studentenschaft verständlich, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, ihre Fähigkeit zur Mobilisierung der Studenten für die vom Ministerium in Angriff genommene Literatur-Säuberungsaktion unter Beweis zu stellen, lag sie doch ganz auf der Linie der neuen Kultur- und Hochschulpolitik.

Der Kampf gegen ‘Schmutz und Schund’ konnte schon deshalb auf eine freundliche Resonanz in der an ‘guter’ Literatur interessierten Leserschaft zählen, weil das 1926 vom Deutschen Reichstag verabschiedete „Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften“ viel zu geringe Beachtung fand und dem bürgerlichen und christlich-konfessionellen Lager als zu schwerfällig, weitmaschig und letztlich weitgehend unwirksam erschien.

War der Rosenbergsche Kampfbund vorerst lediglich bemüht, auf den Buchhandel einen gewissen Druck auszuüben und ihn zur freiwilligen Bereinigung seines Angebots von marxistischer, „artfremder“ und deutschfeindlicher Literatur zu beeinflussen, so erhob der „Verband Deutscher Volksbibliothekare“ die Entfernung schädlicher und entbehrlicher Literatur aus den öffentlichen Bibliotheken zur vordringlichen Forderung. Der Studentenschaft fehlte hingegen trotz der erkennbaren Ausgangsposition eine staatliche oder parteiamtliche Instanz, die ihr mit entsprechenden Richtlinien eine konkrete Unterstützung hätte geben können.

So bildeten schließlich die vom Verband der Volksbibliothekare gefertigten „Berliner Listen“ die wesentliche Grundlage für die vom neu geschaffenen „Hauptamt für Presse und Propaganda“ der Deutschen Studentenschaft aufgestellte und unter Hinzuziehung fachkundiger Dozenten von 131 auf 71 Autoren gekürzte „SCHWARZE LISTE I“.

Es kann davon ausgegangen werden, daß sie mit dem am 20. März 1933 vom Propagandaministerium mit der Aufstellung der Schwarzen Listen beauftragten Dr. Wolfgang Herrmann abgestimmt war. Sie sollte den an den Hochschulorten gebildeten örtlichen „Kampfgruppen“ als Richtschnur dienen und in den folgenden Wochen und Monaten nach neuen Erkenntnissen ergänzt bzw. vervollständigt werden.

Die Liste reichte von politischen Autoren wie

Bebel, Preuss und Rathenau über Wissenschaftler wie Einstein und Freud zu Dichtern wie Brecht, Döblin, Zweig, Ossietzky, Remarque, Schnitzler, Tucholsky und

wurde wenig später um Schriftsteller wie Barlach, Bergengruen, Broch, Hofmannsthal, Kästner, Kraus, Lasker-Schüler, Unruh, Werfel und Zuckmayer erweitert.

Letztlich wurden auch Karl Marx und Heinrich Heine noch hinzu gesetzt.

Es ist schwer zu durchschauen, nach welchen literarischen, politischen oder anderen Kriterien die in dieser Liste erfaßten Schriftsteller dem von Joseph Goebbels bezeichneten „schreibenden Gesindel“ zugeordnet wurden. Eine durchgehende Linie boten weder jüdische Abstammung, nicht soziale oder sozialistische Zielsetzungen der Autoren noch freie Darstellung der Sexualität oder satirische Überzeichnung der Ideale des Kaiserreichs. Allen gemeinsam war in den Augen der für die Aussonderung der Bücher Verantwortlichen vorrangig das „Undeutsche“, die „Gefährdung des reinen deutschen Wesens“.

Die „Schwarze Liste I griff zumindest weit über das Schrifttum jüdischer Autoren hinaus. Nicht einmal die Hälfte der aufgeführten Schriftsteller kann zu den so bezichtigten „Nichtariern“ gerechnet werden. Schließlich sollte diese Liste den Teil des Schrifttums erfassen, der als zersetzend oder in anderer Weise den kulturellen Vorstellungen widersprechend unbedingt zu entfernen war. Hierzu zählten alle Schriften, die

1.    Nation und Staat und ihre Einrichtungen verhöhnen, verächtlich machen oder ihre sittlichen Grundlagen angreifen oder in Zweifel stellen,

2.  die Volksordnung und Volksgemeinschaft und ihre sittlichen Grundlagen angreifen und aufzulösen geeignet sind, die sich also im Besonderen auch gegen die rassisch-biologischen Voraussetzungen eines gesunden Volkstums richten (Ehe, Familie usw.),

3.  die christliche Religion und ihre Einrichtungen, den Gottesglauben und andere einem gesunden Volksempfinden heilige Dinge verhöhnen, verunglimpfen oder verächtlich machen, und

4.  das Schrifttum der sog. „Asphaltliteratur“, die mit virtuoser Technik vorgetragen sein kann, aber in ihrer Standpunktlosigkeit ohne Bindungen an die Werte ist, auf denen das völkische, sittliche und religiöse Gemeinschaftsleben beruht, die auch um solche Werte und Bindungen nicht ringt, sich vielmehr in ihrer freischwebenden Intellektualität gefällt und so zur Verneinung aller Bindungen und Werte führt (Literatur des intellektuellen Nihilismus).“

So richteten sich die Maßnahmen zur ‘Reinigung’ des deutschen Kulturlebens gegen die folgenden vier Autorengruppen:

l. die Juden und privilegierten „Nichtarier“,

2. die „jüdisch Versippten“,

3. die „Judengenossen“ oder „Geistesjuden“, zu denen auch die „Salonbolschewisten“ gerechnet wurden,

4. die ewig Gestrigen unter den religiösen Schriftstellern und Weltbürgern.

Es wurde nach dem Leitsatz verfahren: „Deutsches Schrifttum können nur Dichter und Schriftsteller deutschen oder artverwandten Blutes schaffen.“

Doch war die „jüdische Verseuchung“ der deutschen Dichtung und Sprache nichts anderes als antisemitische Propaganda, mit der die Säuberung des Buchmarkts vor der Öffentlichkeit begründet werden sollte. Die von NS-Stellen vorgetragene Behauptung, das Judentum habe es verstanden, die nationale und völkische Literatur weitgehend auszuschalten, läßt sich problemlos widerlegen.

In den letzten vier Jahren der Weimarer Republik setzte eine wahre Hochkonjunktur von nationalem, völkischem und auf den Ersten Weltkrieg bezogenem Schrifttum ein. Im Jahre 1932 führten nicht etwa Jakob Wassermann oder Franz Werfel die Bestsellerliste an, sondern Autoren wie Werner Beumelburg mit „Bismarck gründet das Reich“, „Gruppe Bosemüller“ und „Sperrfeuer um Deutschland“, Hans Carossa mit „Der Arzt Gion“, Erich Edwin Dwinger mit „Wir rufen Deutschland“, Hans Grimm mit „Volk ohne Raum“, Heinz Steguweit mit „Der Jüngling im Feuerofen“ und Hermann Stehr mit „Die Nachkommen“.

Vieles deutet daraufhin, daß die nur wenige Wochen nach der Machtübernahme anlaufenden spektakulären Aktionen der Studentenschaft der Parteispitze Sorgen bereiteten und gar aus dem Ruder zu laufen drohten. Dem Ausland gegenüber waren sie schwer zu vertreten, zumal deren Presse, von den zahllosen Emigranten gut unterrichtet, dem Geschehen nicht tatenlos zuschaute. Auffallend ist zumindest, daß die Studentenschaft von der auf höhere Weisung tätigen NS-Presse publizistisch verhältnismäßig gering unterstützt wurde. So mögen es unabwendbare Zwänge gewesen sein, die Joseph Goebbels bereit fanden, die Schirmherrschaft über die Vorgänge in Berlin zu übernehmen.

Die Berechtigung und der Sinn des Vorhabens „Aktion wider den undeutschen Geist“ wurden von den Hochschulen, dem Börsenverein der Deutschen Buchhändler und auch von der Presse kaum in Frage gestellt. Unter den Studenten fanden sich genügend Begeisterte, mit deren Hilfe die Pläne durchgeführt werden konnten. Viele Professoren und Studenten legitimierten durch ihr Erscheinen bei den Verbrennungsfeiern die Aktion, und einige wirkten auch an der Aussonderung der zum Verbrennen bestimmten Literatur mit. Auch die Presse stellte ihre Spalten für die von der Studentenschaft erarbeiteten Artikel zur Verfügung. Über die Gründe dieses Verhaltens mag man sich seine eigenen Gedanken machen. Bei den einen mag man sie in der Furcht vor Maßnahmen der den Staatsapparat bereits völlig beherrschenden Partei suchen, bei anderen dürfte ein übersteigertes nationales Fühlen ihre Haltung mitbestimmt haben. Ihre Emotionen verdrängten den naheliegenden Gedanken, daß eine Büchervernichtung bereits den Keim zur Vernichtung der verfemten Personen selbst in sich trägt. Man übersah zudem, daß die neue Ordnung, damit den Weg zur umfassenden Kontrolle des gesamten kulturellen Lebens und zur Unterdrückung jeder nicht genehmen Meinungsäußerung erfolgreich beschritten und sich das Recht dazu erobert hatte.

Die „Aktion wider den undeutschen Geist“

Zum besseren Verständnis des weitgehend reibungslosen Ablaufs der von den deutschen Hochschulen ausgehenden vierwöchigen Aktion ist der Hinweis voranzustellen, daß jeder deutsche Studierende von Gesetzes wegen der Deutschen Studentenschaft angehörte und den von der Führung ausgehenden Weisungen Folge zu leisten hatte. So hieß es im § 1 des „Gesetzes über die Bildung der Studentenschaften an den wissenschaftlichen Hochschulen“ vom 22. Apri1 1933: „Die bei einer wissenschaftlichen Hochschule voll eingeschriebenen Studenten deutscher Abstammung und Muttersprache bilden unbeschadet ihrer Staatsangehörigkeit die Studentenschaft dieser Hochschule.“ Und dieser wiederum oblag es gemäß § 2 des Gesetzes, an der Pflichterfüllung der Studenten für Volk, Staat und Hochschule mitzuwirken. Mit diesem Gesetz und der Umstellung auf das Führerprinzip mit der weitreichenden Funktion des Studentenführers an der jeweiligen Hochschule war der Einfluß der NSDAP auf die studentische Jugend im Reiche vorerst gesichert.

Diese Aufwertung des Studentenführers dürfte zum Gelingen der „Aktion wider den undeutschen Geist“ wesentlich beigetragen haben, zumal ihm auch die Leitung des örtlichen „Kampfausschusses“ oblag, der wiederum für die Umsetzung der vomHauptamt für Presse und Propaganda“ der Deutschen Studentenschaft ausgehenden Anweisungen zuständig war.

Walter Schlevogt, Mitglied der NSDAP seit 1930, war der starke Mann, der zum Beginn des Sommersemesters 1933 offiziell zum Führer der Studentenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität BONN ernannt wurde. Die damit verbundene Machtposition war ihm offensichtlich zu Kopf gestiegen und beeinflußte seinen Führungsstil sowohl im Umgang mit den Beamten und Lehrkräften als auch mit den Studenten derart, daß ihm auf Druck von oben zu Beginn des Wintersemesters 1933/34 der Rückzug nahegelegt wurde. Ersatzweise übernahm er die Leitung des neu gebildeten SA-Hochschulamtes der Bonner Universität und avancierte schließlich zum Hundertschaftsführer auf der NS-Ordensburg Vogelsang in der Eifel.

Neben Walter Schlevogt wirkte im „Kampfausschuß“ als der wohl wichtigste Mann dieses Gremiums der Vorsitzende der Bonner Ortsgruppe des „Kampfbundes für deutsche Kultur“, cand. phil. Eugen Hollerbach. Die von ihm seit 1931 erworbenen Fähigkeiten in organisatorischen und propagandistischen Belangen ließen sich nun auch im Verlaufe der vierwöchigen Aktion gut entfalten.

Mit dem Rundschreiben Nr. 1 des neu gebildeten Hauptamtes für Presse und Propaganda wandte sich die Deutsche Studentenschaft an die Einzelstudentenschaften der Hochschulen am 8. Apri1 1933. Als seine wesentliche Aufgabe sah das Hauptamt, „den Einsatz der Studentenschaft im Rahmen der Erneuerungsbewegung wirksamer zu gestalten“, und kündigte als erste Maßnahme, die „die gesamte Studentenschaft und deutsche Öffentlichkeit erfassen soll“, eine vierwöchige „Gesamtaktion“ vom 12. Apri1 bis zum 10. Mai an. „Näheres wird noch bekanntgegeben.“

Erst mit dem Eingang der „12 Thesen wider den undeutschen Geist“, mit deren Veröffentlichung die Aktion an allen Hochschulorten gestartet werden sollte, erfuhren die Studenten von der Brisanz des angekündigten Vorhabens.

 „In dem Mitverantwortungsbewußtsein für Volk und Vaterland hat die deutsche Studentenschaft ein Hauptamt für Presse und Propaganda gegründet, das den Kampf gegen das jüdische zersetzende Schrifttum durch Aufklärung in weiteste Volksschichten tragen will. Als erste Maßnahme veröffentlicht das Propagandaamt folgenden Aufruf.

 

‘12 Thesen wider den undeutschen Geist’

 

1.  Sprache und Schrifttum des Volkes wurzeln in seinem Volkstum. Das deutsche Volk trägt die Verantwortung dafür, daß seine Sprache und sein Schrifttum reiner und unverfälschter Ausdruck seines Volkstums sind.

2.  Es klafft ein Widerspruch zwischen Schrifttum und deutschem Volkstum. Dieser Zustand ist eine Schmach.

3.  Reinheit von Sprache und Schrifttum liegt an Dir! Dein Volk hat Dir die Sprache zur treuen Bewahrung übergeben.

4.  Unser Widersacher ist der Jude und der, der ihm hörig ist.

5.  Der Jude, der nur jüdisch denken kann, der aber deutsch schreibt, lügt. Doch der, der Deutscher ist und deutsch schreibt, der aber undeutsch denkt, ist ein Verräter. Der Student, der undeutsch spricht und schreibt, ist außerdem gedankenlos und wird seiner Aufgabe untreu.

6.  Wir wollen die Lüge ausmerzen, wir wollen den Verrat brandmarken, wir wollen für den Studenten nicht Stätten der Gedankenlosigkeit, sondern der Zucht und der politischen Erziehung.

7. Wir fordern die Zensur. Undeutsches Gedankengut wird gekennzeichnet. Deutsche Schrift steht nur dem Deutschen zur Verfügung. Der undeutsche Geist wird aus den öffentlichen Büchereien ausgemerzt.

8.  Wir fordern vom deutschen Studenten Wille und Fähigkeit zur selbständigen Erkenntnis und Entscheidung.

9.  Wir fordern vom deutschen Studenten den Willen und die Fähigkeit zur Reinerhaltung der deutschen Sprache.

10.    Wir fordern vom deutschen Studenten den Willen und die Fähigkeit zur Überwindung des jüdischen Intellektualismus und der damit verbundenen liberalen Verfallserscheinungen im deutschen Geistesleben.

11.    Wir fordern die Auslese von Studenten und Professoren nach der Sicherheit des Denkens im deutschen Geiste.

12.    Wir fordern die deutsche Hochschule als Hort des deutschen Volkstums und als Kampfstätte aus der Kraft des deutschen Geistes.

                            Die Deutsche Studentenschaft“

In ihrer Ausgabe vom 12. Apri1 1933 entsprach auch die „Kölnische Volkszeitung“ der Bitte der Bonner Hochschule um Veröffentlichung des Aufrufs der Deutschen Studentenschaft, dem die Redaktion der Zeitung eine äußerst kritische Bemerkung folgen ließ:

 „Wir sind überzeugt, daß auch die NSDAP unter dem Wort ‘Jude’ nicht schlechthin jeden Menschen versteht, der seiner Rasse nach jüdischer Abstammung ist, sondern wie es in der 10. These der Deutschen Studentenschaft einschränkend ausgeführt wird, jenen, der den jüdisch-liberalistischen Geist und Intellektualismus verkörpert. Minister Goebbels hat diesen Unterschied dem Herausgeber des Spectator gegenüber deutlich zugegeben, als er auf den Unterschied der Judenfrage in England und Deutschland hinwies. Vielleicht wäre es besser, wenn die Deutsche Studentenschaft diesen Unterschied deutlicher herausgearbeitet hätte, um die Grundidee der Bewegung zur Reinigung des deutschen Schrifttums klarer und wirksamer verstehen zu lassen.“

Von den empörten Reaktionen im In- und. Ausland zur Veröffentlichung der „12 Thesen“ ist die des damals in Berlin weilenden Mitglieds des englischen Parlaments und des General Medical Council Dr. med. M. C. Well an dieser Stelle ganz besonders erwähnenswert. Am 13. Apri1 1933 schrieb er an den Vorstand der Deutschen Studentenschaft in Berlin:

 „Werte Herrn!

Kurz vor meiner Abreise nach England las ich Ihren Aufruf an den Anschlagsäulen und hatte mit mehreren meiner Landsleute einen wissenschaftlichen Disput. Wir wurden uns nicht ganz einig darüber, welche ärztliche Diagnose für die Verfasser Ihres Aufrufes zuträfe. Um nun feststellen zu können, ob Lues cerebrospinalis oder progressive Paralysis vorliegt, würde ich Ihnen empfehlen, die betreffenden Herren in einer Irrenanstalt mittels der von einem jüdischen Deutschen namens Wassermann, aber nicht in hebräischer Sprache angegebenen Blutuntersuchung untersuchen und eventuell mittels der von einem jüdischen Deutschen namens Paul Ehrlich, ebenfalls nicht in hebräischer Sprache angegebenen Salvarsans behandeln zu lassen. Oder liegt vielleicht ein Hirntumor vor? Dieser würde nun wieder in das Gebiet des deutsch-jüdischen Nobelpreisträgers Warburg fallen. Wir nehmen an, daß der Zerstörungsprozeß der Großhirnrinde schon zu weit vorgeschritten ist, als daß noch Behandlung nach dem ebenfalls jüdischen Nobelpreisträger Wagner-Jauregg erfolgen könnte.

Jedenfalls werden meine Landsleute Photographien Ihres Aufrufes im Auslande veröffentlichen, damit durch dieses neue Dokument deutscher Schande die Welt erkennen lernt, was es für sie bedeuten würde, an deutschem Wesen zu genesen! Die Welt verbittet sich eine solche Beleidigung im Hinblick auf Ihren Aufruf, bei dem die Druckerschwärze vor Scham rot wurde. An einer solchen ‘Genesung’ ist der Welt nichts gelegen. Nehmen Sie den Ausdruck meiner tiefsten Verachtung.                gez.H. .C. Well“

Unbeeindruckt von dieser und anderen teils anonymen Äußerungen und Schmähschriften trieb das Hauptamt in Berlin die vorgefaßten Pläne weiter voran. Mit dem Rundschreiben Nr. 2, das am 9. Apri1 bei den Studentenschaften einging, wurden die Maßnahmen der „Aktion wider den undeutschen Geist“ eingehend erläutert: Gegenstand sei die öffentliche Verbrennung jüdischen zersetzenden Schrifttums durch die Studentenschaften der Hochschulen aus Anlaß der schamlosen Hetze des Weltjudentums gegen Deutschland. Damit solle der jüdische Geist, wie er sich in der Welthetze in seiner ganzen Hemmungslosigkeit offenbare und wie er bereits im deutschen Schrifttum seinen Niederschlag gefunden habe, aus diesem ausgemerzt werden. Zu diesem Zweck habe jeder Student erst einmal seine eigene Bücherei und auch die seiner Bekannten von schädlichen Büchern zu säubern. Den Studentenschaften obliege dann die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die öffentlichen Büchereien möglichst von derartigem Material befreit würden. Die gesamte Aktion dürfe sich jedoch nicht nur negativ gegen Schund und Schmutz jüdischen Zersetzungsgeistes richten, sondern solle auch positiv für volksbewußtes Denken und Fühlen eintreten.

Für die praktische Durchführung des Plans waren drei aufeinanderfolgende Phasen vorgesehen: Vom 12. Apri1 an bis zum 10. Mai sollte die Bevölkerung durch Veröffentlichung der von der Deutschen Studentenschaft herausgegebenen Aufsätze in der Tagespresse und durch Vorträge in Versammlungen und im Rundfunk über den Plan der Studenten aufgeklärt werden. Am 26. Apri1 hatte die Sammlung des zersetzenden Schrifttums zu beginnen. Als Höhepunkt der Aktion war der nur an den Hochschulorten stattfindende Verbrennungsakt am 10. Mai gedacht.

 

„Die Deutsche Studentenschaft     Berlin SW 68, den 8. 4. 33

Hauptamt für Presse und Propaganda     Friedrichstraße 235

An die Einzelstudentenschaften                                        

Rundschreiben P No 2

Betr.: Erste Maßnahme des Propagandaamtes

A. Gegenstand

Öffentliche Verbrennung jüdischen zersetzenden Schrifttums durch die Studentenschaften der Hochschulen aus Anlaß der schamlosen Hetze des Weltjudentums gegen Deutschland.

Sinn der Aktion

Gedanke: Der jüdische Geist, wie er sich in der Welthetze in seiner ganzen Hemmungslosigkeit offenbart und wie er bereits im deutschen Schrifttum seinen Niederschlag gefunden hat, muß aus diesem ausgemerzt werden.

Folgerungen:

l.  Jeder Student säubert seine Bücherei von derartigen durch eigene Gedankenlosigkeit oder Nichtwissen hineingelangten Schriften.

2. Jeder deutsche Student säubert die Büchereien seiner Bekannten und sorgt dafür, daß ausschließlich volksbewußtes Schrifttum darin heimisch ist.

3. Die Studentenschaften sorgen dafür, daß öffentliche Büchereien, sofern sie nicht lediglich als öffentliche Stellen der Sammlung jeglichen Schrifttums zu dienen haben, von derartigem Material befreit werden.

4. Jede Studentenschaft unternimmt innerhalb ihres Einflußbereiches eine großzügige Aufklärungsaktion (Presse, Versammlungen, Flugblätter usw.).

Grundhaltung:

1. Negativ: gegen Schund und Schmutz jüdischen Zersetzungsgeistes, wie er sich in Schrifttum und Welthetze gleichermaßen äußert.

2. Positiv: für volksbewußtes Denken und Fühlen, wie es sich in der Bejahung der deutschen Erneuerung äußert und sich in dieser Weise im Schrifttum offenbaren muß.

Also: Nicht allein leerer Protest aus Anlaß der jüdischen Welthetze, sondern bewußte Besinnung auf die volkseigenen Werte.

B. Durchführung

I. Aufbau

1. Aufklärungsaktion vom 12. April bis l0. Mai

    a) am 12. April 33 Veröffentlichung von ‘12 Thesen wider den undeutschen Geist’ (siehe Anlage),

    b) vom 12. April ab Belieferung der Presse mit einem Artikeldienst (zentral von der DSt),

    c) Vorträge in öffentlichen Versammlungen und im Rundfunk.

2. Sammelaktion vom 26. April bis 10. Mai

    Sammlung von zersetzenden Schriften, Reinigung von Bibliotheken usw. Öffentliche Angabe von Ablieferungsstellen.

3. Verbrennungsakt am 10. Mai 1933

    a) Stattfinden nur an den Hochschulorten.

    b) Die anderen Orte des Kreises werden durch die Aufklärungs- und Sammelaktionen erfaßt und das gesamte Material nach den Hochschulorten zur Verbrennung geschafft.

c) Durchführung: Verbrennungsakt gegen 18 Uhr, Fackelzug. Öffentlicher Vortrag (positiv).

II. Organisation

1. Zentrale: Hauptamt für Presse und Propaganda der DSt.

    Zentraler Kampfausschuß für jeden Kreis der DSt.

    Führer: Kreisleiter oder sein Beauftragter

    Örtliche Kampfausschüsse:

a) an den Hochschulorten. Verantwortlicher Führer: Studentenschaftsvorsitzender oder dessen Beauftragter,

b) an größeren Orten ohne Hochschule. Verantwortlicher Führer: Beauftragter des Kreisleiters.

2. Zusammensetzung der Kampfausschüsse etwa folgendermaßen:

Führer und drei Studenten, ein Professor, ein Mitglied des Kampfbundes für deutsche Kultur und ein Schriftsteller.

III. Erste Maßnahme

1. Aushang der am 12.4.33 mit der Frühpost eingehenden Plakate, sowie Flugblätterverteilung.

2. Unterbringung des gleichzeitig eingehenden Artikeldienstes der DSt-Akademischen Korrespondenz in der Ortspresse.

3. Aufstellung des Aufklärungsfeldzuges (Versammlungen, Kundgebungen, Redner usw.) und Mitteilung dieses Planes an das Hauptamt für Presse und Propaganda der DSt.

4. Jede beabsichtigte Maßnahme bedarf der vorherigen Kenntnis des Hauptamtes für Presse und Propaganda. Verhandlungen mit dem Rundfunk werden lediglich durch das Hauptamt für Presse und Propaganda geführt.

Den Kampfausschüssen wird mitgeteilt, zu welchen Zeiten ein Redner zu stellen ist. Es sind in der dritten und vierten Woche je 3 Ortssendungen sowie mehrere Reichssendungen geplant. Näheres hierüber wird mitgeteilt.

 

IV. Sofort nach Erhalt dieses Rundschreibens Mitteilung an das Hauptamt über die ersten ergriffenen Schritte.

Mit studentischem Gruß

Führer der DSt                    Das Hauptamt für Presse und Propaganda der DSt

Der Inhalt dieses Rundschreibens ist bis zum Beginn der Aktion (12.4.) streng vertraulich zu behandeln!“

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Erstaunlich wirkt es, daß in diesem für die „Aktion wider den undeutschen Geist“ sowohl den Anlaß als auch die Durchführung, Organisation und die zu ergreifenden Maßnahmen festlegenden Rundschreiben nirgendwo ein Hinweis auf die Mitwirkung der NSDAP oder des Propagandaministeriums zu finden ist.

Da das Rundschreiben zudem mit dem Vermerk versehen war, den Inhalt streng vertraulich zu behandeln, dürfte daraus wohl die Absicht zu erkennen sein, andere Stellen und Organisationen aus der studentischen Aktion vorerst herauszuhalten. Auch was die örtlich vorgesehenen Maßnahmen in der Presse, in Versammlungen, in den von der Sammelaktion betroffenen öffentlichen und privaten Büchereien und Buchhandlungen und schließlich den Verbrennungsakt selbst betrifft, so bedurften sie doch zumindest der Kenntnisnahme und Genehmigung der städtischen Verwaltungen, der Polizei und des Rektorats der Hochschulen. Offensichtlich liefen zu diesen für die Durchführung mitverantwortlichen Stellen nicht bekannt gewordene Kanäle, die den reibungslosen Ablauf der vierwöchigen Aktion ermöglichten.

Nicht unerwähnt sollte in diesem Zusammenhang die

„Feier des ersten Mai“ 1933 an der Bonner Universität bleiben.

Der „General-Anzeiger für Bonn und Umgebung“ berichtete: „Die neue Aula war überfüllt von Dozenten, Studenten und Freunden der Bonner Universität, als am Vormittag des 1. Mai der neue Rektor, Professor der Medizin Dr. Friedrich Pietrusky, in feierlicher Form sein Amt übernahm und das neue Studentenrecht überreichte. Zahlreiche Mitglieder der nationalen Verbände waren in Uniform erschienen. Zum ersten Male begann ein Bonner Rektor seine nach ‚der Einkleidung‘ gehaltene Rede mit dem Hitler-Gruß. Zum ersten Male hielt am Tag der Rektoratsübergabe der Vertreter der Studentenschaft in SA-Uniform eine Ansprache in der Aula, in der er für die kommende Arbeit drei Punkte hervorhob: äußerste Disziplin ist unerläßlich, gegen Einzelaktionen wird schonungslos vorgegangen; sodann – die Studentenschaft sieht auch die Universitäten eingegliedert in den Kampf um Volk und Staat, insbesondere um den deutschen Sozialismus; endlich – sie wird sich gegen alle undeutschen Elemente, gegen Liberalismus und Reaktion an den Hochschulen gesammelt zur Wehr setzen.“

Und der „General-Anzeiger“ schloß seinen Bericht über den Verlauf der Feier mit der Feststellung: „Dies waren die Hauptkennzeichen der Universitätsfeier: freudige Bejahung der nationalen Revolution, ehrliche Anerkennung des deutschen Handarbeiters durch den Geistesarbeiter, Entschlossenheit zur Wahrung der Disziplin im Dienst an den großen Aufgaben der deutschen Zukunft.“

Zwei Tage zuvor ging am 28. April in Bonn mit dem Rundschreiben Nr. 3 vom inzwischen umbenannten „Hauptamt für Aufklärung und Werbung“ der Deutschen Studentenschaft die Schwarze Liste ein, nach der nun die Sammlung der entarteten Bücher und die Reinigung der Bibliotheken beginnen konnte. Hierzu veröffentlichte die Bonner Presse am Montag, den 8. Mai, den nachstehenden Aufruf der Bonner Studentenschaft:

 „Die deutsche Revolution setzt überall dort mit ihrer ganzen Wucht ein, wo deutsche Art und deutsches Wesen bisher zertreten und behindert wurden, um sich nun wieder ungehemmt entfalten, um alles das abwerfen zu können, was fremd und undeutsch war. Die deutsche Studentenschaft hat den Kampf ‚wider den undeutschen Geist‘ aufgenommen und ruft Euch alle, Bonner Bürger und Studenten, auf: ‘Reiht Euch ein in diese Front, auf daß der Sieg unser wird!’ Wir kämpfen um die Reinheit unserer Kultur. Das deutsche Schrifttum der Nachkriegszeit ist verpestet durch eine Unmasse von fremdgeistigen, zersetzenden und entsittlichenden Schriften. Schmutz und Schund wurden aus niedrigem Geschäftsgeist heraus in die Lektüre des deutschen Volkes getragen, wurden der Jugend vorgesetzt und trieben entsetzliche Wucherungen an der deutschen Volksseele. Wir haben es heute in der Hand, mit sicherem Griff über diese Krankheit Herr zu werden, wenn jeder von uns seine Pflicht erkennt.

Heraus aus Euren Bibliotheken mit den zersetzenden jüdischen Büchern und dem Schund, der den Büchermarkt überschwemmt hat! Die Bonner Studentenschaft wird am Mittwoch, 10. Mai, in aller Öffentlichkeit eine Verbrennung vornehmen, die von diesem schmutzigen Material gespeist wird. Die Flamme des Scheiterhaufens soll uns Symbol und Schwur sein auf das Ende des undeutschen Geistes und auf die Echtheit und die Ewigkeit unserer deutschen Kultur.

Die Studentenschaft der Universität Bonn nimmt bis zum 10. Mai in ihrer Geschäftsstelle, Nassestraße 1, ausgeschiedenes und zur Verbrennung bestimmtes Büchermaterial an. Sie hat in ihrem Anschlagkasten am schwarzen Brett eine ’schwarze Liste‘ veröffentlicht.“

In der gleichen Ausgabe berichtete der „General-Anzeiger“ über einen von der Studentenschaft am 5. Mai im überfüllten Auditorium maximum der Universität zur „Aktion wider den undeutschen Geist“ durchgeführten Vortragsabend.

Der Ortsgruppenführer des Kampfbundes für deutsche Kultur, Eugen Hollerbach, sprach über die Zersetzung der Kultur auf allen Gebieten und in allen Zweigen der Literatur, der Presse, der Kunst, der Bühne und des Lichtspiels, die zu einer Verflachung und Vernichtung der deutschen Geisteswerke hinführe. Er rief die junge Generation zum Widerstand gegen diesen undeutschen Geist auf. „Wenn jetzt das Alte und Überwundene als unentbehrlich wieder eine Führung glaubt beanspruchen zu können, dann muß diesem Standpunkt gegenüber klar und entschieden betont werden, daß das, was die junge Generation als hoffnungsreiches Gut der Zukunft sich erkämpft habe, sich nicht mehr durch eine sterbende Geistigkeit bevormunden ließe. Die Jugend, so sagte der Redner, vom Beifall der Hörer unterbrochen, maße sich kein Richteramt an. Ihre Berechtigung aber, dies Urteil zu fällen, sei legitim erworben im Kampf für das Kommende gegen eine zerfallende, absterbende Welt. Wenn sich aber auf der einen Seite eine Kluft zeige, die die neue Generation von dem Alter trenne, so bilde doch gerade die Volksgemeinschaft, die die Jugend wieder lebendig zu gestalten gewillt sei, das Band, das auch über die Generationen hinweg einigen könne. Es muß aber betont bleiben, so schloß der Redner, daß die Jugend den einmal als richtig erkannten Weg weitergehen werde.“

Die Kundgebung wider den undeutschen Geist in BONN

Im „General-Anzeiger“ erschien am 9. Mai 1933 ein letzter Aufruf der Bonner Studentenschaft:

 „Kommilitonen und Kommilitoninnen!

Die Studentenschaft der Universität Bonn ruft Euch alle auf zu einer

Kundgebung wider den undeutschen Geist.

 

Am Mittwoch, den 10. Mai 1933, um 23.00 Uhr versammeln wir uns alle, um ein Bekenntnis abzulegen für die Erneuerung des deutschen Geistes, dessen berufene Träger wir sein wollen. In voller Einmütigkeit und in verantwortungsbewußter Geschlossenheit wollen wir uns einfinden, um dem deutschen Volke zu beweisen, daß auch der deutsche Student zu jedem Einsatz und Opfer bereit ist!

 

Folgendes Programm ist aufgestellt worden:

22.30 Uhr Versammlung der Studentenschaft im Hofgarten

23.00 Uhr Abmarsch zum Marktplatz

23.15 Uhr Rede: Prof. Naumann

23.40 Uhr Rede: Prof. Lüthgen

24.00 Uhr Verbrennung zersetzender jüdischer und marxistischer Schriften.“

Es regnete am 10. Mai unaufhörlich, und doch sah man im Bonner Kampfausschuß der Studentenschaft keine Veranlassung, wie dieses im benachbarten Köln geschah, die Veranstaltung der Bücherverbrennung auf einen der nächsten Tage zu verlegen. Zu gut war alles, selbst der Anmarsch vom Hofgarten zum Marktplatz, bis ins letzte Detail organisiert und auf diese Stunde ausgerichtet.

Den vorausgehenden Professoren und Studenten, die auf der Freitreppe des Rathauses Aufstellung nahmen, folgten bei Marschmusik die meist uniformierten Mitglieder des Nationalsozialistischen Studentenbundes, der Studenten-SA und des „Stahlhelms“, die Korporationen mit ihren Fahnen, die Freistudenten und schließlich auch die Studentinnen, die dann im Halbkreis den vor dem Rathaus zuvor aufgerichteten Scheiterhaufen einschlossen.

Die Berichterstattungen der Bonner Zeitungen weichen wenig voneinander ab und entsprechen in etwa der des „General-Anzeigers“ vom 11. Mai 1933:

 „Der Markt ist gefüllt. Grell leuchten die Scheinwerfer auf das Rathaus. Die große Freitreppe liegt in einer Flut von Licht. Hier haben sich die Führer der Nationalsozialisten und Studentenschaft eingefunden und hier sind auch die Dozenten der Hochschule versammelt. Der am Vortage von der Stadtverordneten-Versammlung gewählte Oberbürgermeister Ludwig Rickert wurde durch den Beigeordneten Felix Hausmann vertreten.

Der Himmel hielt seine Schleusen nicht geschlossen. Der dauernd niedergehende Regen tat sicherlich der Versammlung und Kundgebung großen Abbruch. Und doch: es war eine eindrucksvolle und imposante Feier, in deren Mittelpunkt die lodernde Flamme des Scheiterhaufens hochschoß, die die Schriften verzehrte, die in Widerspruch stehen zum deutschen Empfinden und zum deutschen Geist. Der Führer der Studentenschaft, Walter Schlevogt, wies darauf in einführenden Worten hin: es sei die vornehmste Aufgabe der Studentenschaft, Literatur und Kunst von allem Undeutschen zu säubern. Man stehe in einer Revolution, die aber erst begonnen habe. So sei auch mit dem flammenden Feuer nicht die Aktion gegen den undeutschen Geist vollbracht, sondern erst eingeleitet. Ihr Ziel sei die Ausrottung aller undeutschen Geistesproduktion.“

Der Germanist Hans Naumann war der geeignete Redner am Abend der Bonner Bücherverbrennung. Seit 1921 ordentlicher Professor in Frankfurt a.M., lehrte er von 1932 – 1945 in Bonn. Dank seiner rhetorischen Begabung zählte er zu den eifrigsten Verkündern der neuen Bewegung des Nationalsozialismus.

Schon in seinem 1923 herausgegebenen Werk „Deutsche Dichtung der Gegenwart“ begrüßte er 1931 in der fünften erweiterten Auflage die faschistischen Tendenzen in der neuesten Literatur. Die Nation strahle darin neu auf, das Schicksalsmäßige, Heroische und Visionäre. Auch mit seinen Schriften „Deutsche Nation in Gefahr“ (1932), „Wandlung und Erfüllung“ (1933) und „Germanischer Schicksalsglaube“ (1934) lieferte er Beiträge zur Ideologie der nationalsozialistischen Staatsführung.

Nach so intensiver Vorarbeit nahm man es dem Bonner Ordinarius für deutsche Literaturgeschichte ab, daß er die Bücherverbrennung als eine symbolische Handlung betrachtete und das Feuer als Aufforderung an die „akademische Jugend deutscher Nation“ deutete, wie das Feuer zu wirken. Viele seiner Sätze und markanten Aussagen in einer geradezu flammenden Festrede wirkten, als seien sie zuvor mit Alfred Rosenberg abgestimmt gewesen:

 „So verbrenne denn, akademische Jugend deutscher Nation, heute zur mitternächtlichen Stunde an allen Universitäten des Reiches, verbrenne, was du gewiß bisher nicht angebetet hast, aber was doch auch dich wie uns alle verführen konnte und bedrohte.

Wo Not an den Mann geht und Gefahr im Verzug ist, muß gehandelt werden, ohne allzu großes Bedenken. Fliegt ein Buch heute Nacht zuviel ins Feuer, so schadet das nicht so sehr, wie wenn eines zu wenig in die Flammen flöge. Was gesund ist, steht schon allein wieder auf.

Wir wollen eine symbolische Handlung begehen, wir schütteln eine Fremdherrschaft ab, wir heben eine Besetzung auf. Von einer Besetzung des deutschen Geistes wollen wir uns befreien.

Wir wollen die Vorgänge dieser Nacht noch tiefer fassen, wir kämen zu billig davon, glaubten wir, mit dieser Verbrennung sei schon alles getan. Wir gehen noch einen Schritt weiter, wir gehen noch zu uns selbst, in uns selbst. Dies Feuer ist ein Symbol und soll auch eine Aufforderung sein an uns selbst, unsere eigenen Herzen zu läutern. Wir haben das allzumal nötig, alle ohne Ausnahme; richten wir alle auch über uns selbst!

Genau so hat es unser oberster Führer bei jenem gewaltigen Appell verlangt am 8. April dieses Jahres von jedem einzelnen der Hunderttausende seiner SA und SS aus Deutschland und Österreich. Nichts Allzumenschliches soll in uns bleiben, wir werfen es heute mit jenen schlimmen Büchern ins Feuer. Dieser Frühlingssturm der deutschen Bewegung war zu hinreißend schön; er soll nicht durch irgendwelche allzu menschlichen Schwächen getrübt oder gefährdet sein.

 ‘Wie sollen wir dieses Volk sonst schaffen’, hat der Führer an jenem Abend gesagt, ‚wenn wir nicht selbst uns zwingen und meistern, wenn wir nicht selbst in uns all das überwinden, was wir als verderblich ansehn in unserem Volke?‘

Wir wollen ein Schrifttum, dem Familie und Heimat, Volk und Blut, das ganze Dasein der frommen Bindungen wieder heilig ist. Das uns zum sozialen Gefühl und zum Gemeinschaftsleben erzieht, sei es in der Sippe, sei es im Beruf, sei es in der Gefolgschaft oder in Stamm und Nation. Das zum Staat erzieht und zum Führertum und zur Wehrhaftigkeit, ein Schrifttum, das also im besten und edelsten Sinne politisch ist.“

Nach einer Warnung vor Kitsch und leerem Epigonentum ruft Hans Naumann nach fast zwanzig Minuten währendem Redefluß nach dem neuen künstlerischen Geist der völkischen Aktivität und schließt mit dem Ruf: „Heil denn also dem neuen deutschen Schrifttum! Heil dem obersten Führer! Heil Deutschland!“

Liest man die Namen der verfemten Autoren, so erfüllte sich später nach dem Untergang des Dritten Reichs Naumanns Ausspruch auf für die Redner unerwartete Weise:„Was gesund ist, steht schon von allein wieder auf.“

Am 1. September 1934 wurde Hans Naumann zum Rektor der Universität Bonn ernannt. Seine Antrittsrede ist noch einmal durchsetzt von kaum ertragbarem Schwulst. Er mag es geahnt haben, daß ihm nur ein halbes Jahr in diesem Amt vergönnt blieb. Die Aberkennung der Ehrendoktorwürde des von ihm geschätzten Thomas Mann mißbilligte er, und den Fall der Eidesverweigerung des Theologen Karl Barth packte er nicht energisch genug an, wie man es von ihm wohl zuvor erwartet hatte. Auch stieß die Neuauflage seiner „Deutschen Dichtung der Gegenwart“ auf Kritik und wurde 1936 sogar sein Buch „Deutsche Volkskunde in Grundzügen“ verboten und von der Gestapo beschlagnahmt. Gleichwohl hielt Naumann wiederholt die universitären Festansprachen zum Geburtstag Adolf Hitlers, 1939 am 20. April in der Aula zum 50. des „Führers“, wiederum als „Bonner Akademische Reden“ gedruckt.

Nachdem die Sturm-und-Drang-Jahre der nationalsozialistischen ‘Bewegung’ vorüber waren, konnte man feststellen, daß „zwei Seelen in Naumanns Brust entsetzlich aneinander zerrten“ und daß es kaum denkbar war, „daß ihn das nationalsozialistische Gepränge, die falsche Rhetorik, der Schwulst, die Lüge als Prinzip, auch die Brachialgewalt nicht nach einiger Zeit ästhetisch entschieden abgestoßen haben, aber ebensowenig ist denkbar, daß er sein Volkstums- und Schrifttums- und Deutschtumsdenken, das ihn in die Arme der falschen Macht getrieben hatte, selbst als falsch einzuschätzen gelernt hätte“, urteilt Norbert Oellers.

Doch zurück zum Geschehen auf dem Bonner Marktplatz, wo sich der Zeiger der Uhr des Alten Rathauses dem Ende der mitternächtlichen Stunde näherte.

Das gemeinsam gesungene Deutschlandlied leitete über zur „Feuerrede“, die ein bis dahin kaum bekannter Bonner Professor, der Kunsthistoriker Eugen Lüthgen, hielt. Seit 1917 war er Privatdozent in Bonn, jedoch nach seiner Ernennung zum nicht beamteten außerordentlichen Professor 1922 wissenschaftlich nicht mehr produktiv. Er fühlte sich in den von den Nationalsozialisten als „Systemzeit“ diffamierten 15 Jahren der demokratischen Weimarer Republik in der Universität wohl zurückgesetzt und sah 1933 seine Stunde gekommen. Obwohl er im September 1933 Leiter der neugeschaffenen Dozentenschaft der Philosophischen Fakultät wurde, blieb der berufliche Aufstieg Lüthgens aus und wurde er auf Antrag der Fakultät zur „Bereinigung der Atmosphäre“ im Februar 1936 nach Marburg versetzt.

Mit der „Feuerrede“ begann das eigentliche Szenario des Verbrennungsakts. Eine genaue Anweisung über den Ablauf des Höhepunkts der Veranstaltung hatte das Hauptamt der Dt. Studentenschaft allen Einzelstudentenschaften mit dem Rundschreiben Nr. 4 sechs Tage zuvor gegeben:

 „Als Grundlage für die symbolische Handlung im Verbrennungsakt ist die im folgenden gegebene Aufstellung zu benutzen und möglichst wörtlich der Rede des studentischen Vertreters zugrunde zu legen. Da es praktisch in den meisten Fällen nicht möglich sein wird, die gesamten Bücher zu verbrennen, dürfte eine Beschränkung auf das Hineinwerfen der in der folgenden Aufstellung angegebenen Schriften zweckmäßig sein. Es wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß trotzdem ein großer Haufen Bücher verbrannt wird. Die örtlichen Veranstalter haben dabei jegliche Freiheit.“

Es folgten mit den zugeordneten Namen der in Betracht kommenden Schriftsteller neun vorbereitete „Feuersprüche“, an deren Wortlaut sich Lüthgen – also ein Professor, nicht ein studentischer Vertreter – zu den hell lodernden Flammen weitgehend hielt:

Einleitend sagte er: „Wider den undeutschen Geist – das ist das Wort derer, die nur Eines wollen: Deutschland! Wider den undeutschen Geist – das bedeutet Kampfansage dem vergangenen System der vormals gültigen Werte, dem System der einseitigen Zwecksetzung, dem System des liberalistischen Geistes, des persönlichen Vorteils, des Verdienens statt des Dienens und Opferns. Wider den undeutschen Geist – das heißt Ringen um die Wiedereroberung der deutschen Seele.

Einmütig hat die deutsche Studentenschaft dem undeutschen Geist den Kampf erklärt. Mitten in das geistige Leben der Nation hinein gestellt, erlebte sie am unmittelbarsten die Schäden und Folgen des materialistisch-liberalistischen Weltbildes. Die Fiktion der Freiheit der Persönlichkeit hatte den Einzelnen verführt, den Zweck um des Zweckes willen zu wollen. So entstand, losgelöst vom Boden, entfremdet der Volksgemeinschaft, durchsetzt von artfremdem Wesen eine Wissenschaft nur um der Wissenschaft willen, eine Kunst um der Kunst willen. Die tiefsten Offenbarungen, die der menschliche Geist besitzt, waren aus dem Leben des Volkes ausgeschieden. Sie wurden zum Spielball artfremder Machthaber.

Deshalb sollen jetzt, in dieser Stunde, auf dieser Feier der Jugend, auflodern die Feuer. Entzündet den Scheiterhaufen und werfet hinein in die Flammen die Zeugen und Bilder undeutschen Geistes!

Heute gilt das Wort Ernst Bertrams:

‘Verwerft was euch verwirrt.

Verfemt was euch verführ!.

Was reinen Willens nicht wuchs,

In die Flamme mit was euch bedroht!’

Groß ist die Zahl der Verführer und Schänder des deutschen Geistes.“

Nach dem gemeinsam gesungenen Deutschlandlied folgten die Feuersprüche, die an anderen Universitäten von neun „Rufern“ ausgestoßen wurden, wie dem „Westdeutschen Beobachter“ vom 12. Mai – ohne Bezug auf Bonn – zu entnehmen ist:

Bis auf die Namen von Friedrich Wilhelm Förster (Rubrik: „politischer Verrat, Gesinnungslumperei“) und Sigmund Freud („seelenzerfasernde Analyse des Trieblebens“) sind alle anderen von ihm namentlich geächtet:

 „Hinein in die Flammen mit dem Gift des Klassenkampfes und des Materialismus, mit den Zeugen der Dekadenz und des moralischen Verfalls; hinein in die Flammen mit dem Werk eines Kautsky und Marx, eines Heinrich Mann, eines Glaeser und Kästner, Vernichtung dem politischen Verrat, der Gesinnungslumperei, der seelenzerfasernden Analyse des Trieblebens. Statt des Gefühls für Volksgemeinschaft, für idealistische Lebensunterhaltung, statt der Hingabe an Volk und Staat, statt der Ehrfurcht vor dem Adel der menschlichen Seele zerstört die Seuche der Zersetzung und Auflösung die Fundamente der deutschen Bildung.

Den Flammen überantwortet auch die Verfälscher der Geschichte, die statt Ehrfurcht vor den Größen unserer Vergangenheit ihre Herabwürdigung predigten oder in volksfremdem Journalismus demokratisch-jüdische Frechheit bekundeten. Hinein in die Glut mit dem, was artfremden Geistes bei Emil Ludwig, Werner Hegemann, Theodor Wolff, Georg Bernhard und Erich Maria Remarque. Wer immer aber das kostbarste Gut unseres Volkes, die deutsche Sprache, dünkelhaft verhunzt, wer in anmaßender Frechheit Wert und Würde des deutschen Volksgeistes antastet, auch der gehört, wie Alfred Kerr, Tucholsky und Ossietzky, mit seinem Werk auf diesen Scheiterhaufen.“

 „Was“, so fuhr Lüthgen fort, „ haben sie alle verbrochen, diese marxistischen, liberalistischen, art- und landfremden Verächter deutschen Wesens? Sie haben im Volke, mitten im Herzen des demokratischen Staates, eine Clique geschaffen, einen Interessentenhaufen, eine Machtgruppe, die unter dem Deckmantel der schöpferischen Freiheit der Persönlichkeit eine Diktatur des Geistes und der Kunst errichtete, der sich jeder beugen mußte, der außerhalb der Cliquen und Klassen stand.

Sie alle aber, Kommilitonen, die kampfbereit für Deutschland außerhalb des Kreises der artfremden Machtgruppen standen, waren zur Schaffenslosigkeit verurteilt…“

Und so berichtete der „General-Anzeiger“ am Tage darauf:

 „Während die Menge das Horst-Wessel-Lied anstimmte, stand unten auf dem Markt mitten in dem Fahnenwald der Korporationen, die übrigens eine schwarz-weiß-rote Flagge mit der Aufschrift ‘Deutsch ist die Saar’ in ihre Mitte genommen hatten, der Scheiterhaufen in hohen Flammen. Bücher und Zeitungen, Zeitschriften und Broschüren flogen in die prasselnde Glut, daß die Funken weit über die dunkle Menschenmenge dahinstoben. Dann krachte der Scheiterhaufen zusammen. Die Holzscheite, leuchtend und glühend, fielen auseinander, die Asche der Bücher hob sich in dunkler Wolke empor, schwebte durch den milchigen Lichtkegel der Scheinwerfer und zerstob in der Nacht.

Während also als Symbol ein Teil der in Bonn gefundenen Bücher, die aus fremdartigem Denken und Fühlen entstanden, in Asche und Rauch sich wandelten, marschierten die Kolonnen, braun und feldgrau, marschierten die Chargen mit den bunten Fahnen, die Korporationsstudenten mit dem leuchtenden Couleur, die Studentinnen und Studenten wieder ab. Ihr Schritt verhallte in der dunklen Nacht. Und es war, als ziehe eine Truppe aus zum Gefecht, zum Kampf: deutsche Jugend wider den undeutschen Geist.“

Ganz anders schildert Ernst Glaeser, der das Verbrennen seiner eigenen Bücher miterlebte, das sich ihm darbietende Geschehen:

 „Auf dem Bonner Marktplatz war der Scheiterhaufen aus Büchern aufgerichtet, und im Schein von Fackeln umstanden Studenten, Professoren, uniformierte Hitlerjungen und SA-Leute diese Kultstätte nationalsozialistischen Geistes. Zivilisten huschten hinter der Menge verlegen vorbei. Die Gesichter der Studenten kamen mir alle sehr bekannt vor. Schwarmgeister mit dem starren, neurotischen Blick mitten im unfertigen Knabengesicht, dazwischen Rabauken mit Stiernacken, engbrüstige Magister mit dem süffisanten Lächeln heimlicher Sadisten, dann wieder andere, den Blick verlegen auf den Boden gesenkt, wenn die Bücher ins Feuer flogen.“

Es sei erlaubt, den vergleichenden Blick auf die alte und neue Haupstadt BERLIN zu werfen.

Am gleichen Abend hatten sich hier die Studenten und Gruppen aller Parteiorganisationen auf dem Kaiser-Franz-Joseph-Platz zwischen der Universität und der Staatsoper um den dort aufgerichteten Scheiterhaufen zur Verbrennung „undeutschen“ Schrifttums versammelt. Ein dabeigewesener ausländischer Korrespondent schilderte seine Eindrücke in der Ausgabe der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom 11. Mai 1933:

 „Am Mittwoch gegen Mitternacht bot sich den Berlinern eines der erstaunlichsten Schauspiele, die man im zwanzigsten Jahrhundert noch erleben kann. Mitten in der Stadt loderte ein brennender Scheiterhaufen mit 20000 Büchern zum Himmel empor… Abends 9 Uhr am historischen Tage bildete die Studentenschaft in der Umgebung der Universität einen Fackelzug und holte vom Studentenhaus die Lastwagen mit den verurteilten Büchern ab, um sie auf einem 5 km weit ausgedehnten Umzug durch die Stadt und im Triumph durch das Brandenburger Tor zu führen. Unter den Linden rückte der seltsame Umzug bis zu dem als Richtstätte auserwählten Opernplatz gegenüber der Universität vor. Die auf der Mitte des großen Platzes aufgefahrenen Lastwagen ließen die Hakenkreuzfahnen flattern, während die Bücher stoßweise in die Glut geworfen wurden. Romane und Novellen, Dramen und Geschichtsbücher, die Schriften der großen Theoretiker des Sozialismus, volkswirtschaftliche und zeitgeschichtliche Werke, Völkerbund und Paneuropa flogen auf den Feuerhaufen, wo die Hitze die Seiten umblätterte und glühende Papierfetzen zwischen den Rauchwolken in die Höhe trieb. Das Publikum, das sich herandrängte, geriet an einigen Stellen in Kollision mit der Polizei, die daraufhin handgreifliche Mittel anwendete. Auf der Fahrbahn vor der Universität sorgten berittene Polizeitruppen für die Abwicklung des Verkehrs. In später Stunde ergriffen der Führer der Berliner Studentenschaft und der Propagandaminister Goebbels das Wort zu Ansprachen. Mit erhobenen Armen sang man zum Schluß das Horst-Wessel-Lied: ‘Die Straße frei den braunen Bataillonen!’“

Von der bis zum Brandenburger Tor gestauten Menschenmasse lautstark begrüßt, erschien der Berliner Gauleiter, Propagandaminister Dr. Joseph GOEBBELS, und ergriff, während sich die Flammen in den Fenstern der Staatsoper spiegelten, das Wort:

 „Ihr jungen Studenten seid Träger, Vorkämpfer und Verfechter der jungen revolutionären Idee dieses Staates gewesen, und so, wie Ihr in der Vergangenheit das Recht hattet, den deutschen Staat, den Unstaat zu berennen und niederzuwerfen, so wie Ihr das Recht hattet, den falschen Autoritäten dieses Unstaates Euren Respekt und Eure Achtung zu versagen, so habt Ihr jetzt die Pflicht, in den Staat hineinzugehen, den Staat zu tragen und der Autorität dieses Staates neuen Glanz, neue Würde und neue Geltung zu verleihen. Ein Revolutionär muß alles können. Er muß ebenso groß sein im Niederreißen der Unwerte wie im Aufbauen der Werte…

Das Alte liegt in den Flammen. Das Neue wird aus der Flamme unseres eigenen Herzens wieder emporsteigen. Wo wir zusammenstehen und wo wir zusammengehen, da wollen wir uns dem Reich und seiner Zukunft verpflichten. Wie so oft in den Zeiten, da wir noch in der Opposition kämpften, so auch jetzt, da wir die Macht und damit die Verantwortung in den Händen halten, schließen wir uns zusammen in dem Gelöbnis, das heute wieder unter diesem Himmel und umleuchtet von diesen Flammen ein Schwur sein soll: Das Reich und die Nation und unser Führer Adolf Hitler Heil! Heil! Heil!“

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GOLO MANN, der sich seit dem 6. Mai 1933 in Berlin aufhielt, um das Haus seiner in die Schweiz emigrierten Eltern aufzulösen, schreibt in seinen „Erinnerungen und Gedanken“ von der Bücherverbrennung vor der Universität, der er auf Drängen studentischer Freunde beiwohnte, ohne sich über Absicht und Ablauf der Veranstaltung .zuvor bewußt gewesen zu sein:

 „Eine schwache Rede von Goebbels und ein ziemlich dürftiges Theater. Ich muß es nachgerade beklagen, als Deutscher geboren zu sein. Was ich damals nicht wußte: es gab die Bücherverbrennung nicht nur in Berlin, sondern am gleichen Abend in vielen Universitätsstädten; so in Köln, wo Ernst Bertram sie vollen Herzens begrüßte – ‘Verbrennt, was Euch schwach macht!’ – jedoch immerhin erreichte, daß die Werke Thomas Manns unverbrannt blieben. Das Unternehmen war durchaus studentisch; eine Nachahmung des Wartburgfestes von 1817, wo man den Code Napoléon und andere ‘undeutsche’ Werke verbrannte. Der Partei- und Staatsführung war es vielleicht im Moment so ganz angenehm nicht; denn nach den Ausschweifungen der ersten Monate galt es nun, dem Ausland vorübergehend ein zivilisiertes Gesicht zu zeigen. So klang auch die Rede von Goebbels eher ab- als aufwiegelnd. Verbrannt wurden Bücher von Marx, Freud, Emil Ludwig, Remarque, Kerr, Heinrich und Klaus Mann – von Thomas Mann nicht -, wobei ein ‘Rufer’ zuerst eine Verdammung ausrief, um mit ‘Ich übergebe den Flammen die Schriften von …’ zu enden. Dem Ereignis wurde später, durchaus mit Recht, eine symbolische Bedeutung zugesprochen, die es im Moment doch wohl nicht hatte – ‘Wo Bücher verbrannt werden, da wird man bald auch Menschen verbrennen.’ Tatsächlich hörte ich in meiner Nachbarschaft jemanden sagen: ‘Schade, daß wir sie nicht selber haben!’ Sehr unglücklich fühlte ich mich dabei und verstehe nicht, warum wir aus schierer Neugier präsent waren.“

Und an Richard Wisser schrieb Golo Mann am 17. März 1973 zur Bücherverbrennung in Berlin: „Was ich sah, hörte. spürte, machte mich recht einsam und traurig. Trotzdem konnte ich kein ‚historisches Ereignis‘ darin sehen; das wurde es erst im Rückblick, als Vorbote und Symbol für Späteres.“

Unter den auf der Schwarzen Liste aufgeführten verfemten Amerikanern Upton Sinclair, Jack London, Ben Lindsey und Robert Carr befand sich auch die blinde Schriftstellerin Helen Keller, die wegen ihres starken sozialen Einsatzes in den USA außerordentlich populär war. Auf die Ankündigung, daß ihre Bücher auf die Scheiterhaufen wandern sollten, hatte sie mit einem offenen Brief reagiert, den die „New York Times“ am 10. Mai 1933 veröffentlichte. Der Brief, an die deutschen Studenten gerichtet, lautete:

 „Ihr habt aus der Geschichte nichts gelernt, wenn ihr glaubt, Ideen ausrotten zu können. Tyrannen haben das schon oft versucht, aber die Ideen sind aufgestanden und haben sie hinweggefegt. Ihr könnt meine Bücher und die der edelsten Geister Europas verbrennen, aber die Ideen sind schon .aus den Büchern herausgetreten und über Millionen Kanäle weitergewandert, und sie werden neue Geister begeistern. Die Tantiemen aus meinen Büchern, die ich an blinde deutsche Soldaten des Weltkriegs weitergab, spendete ich mit keinem anderen Gedanken in meinem Herzen als der Liebe und des Mitgefühls für das deutsche Volk. Glaubt nicht, daß eure Untaten an den Juden hier nicht bekannt sind. Gott schläft nicht, und sein Urteil wird über euch kommen. Ihr hättet besser einen Mühlstein am Halse und würdet untergehen, als von allen Menschen gehaßt und verachtet zu werden.“

Interessant waren die ersten Reaktionen und abfälligen Stellungnahmen der Auslandspresse zur Bücherverbrennung. Von den vielen Berichten, die sich beinahe ausschließlich mit dem Geschehen in Berlin befaßten, sei hier der Kommentar auf der Titelseite der Abendausgabe des „Neuen Wiener Tageblattes“ vom 11. Mai 1933 wiedergegeben:

 „In dem großen Bücherbrand, den gestern die deutsche Studentenschaft auf dem Opernplatz in Berlin veranstaltete, kam so recht der irregeleitete Idealismus zum Ausdruck, der die Massen der akademischen deutschen Jugend beherrscht. Man hat für den Scheiterhaufen wahllos Schriften zusammengetragen, die man unter der Marke ‘undeutscher Geist’ aus Leih- und Volksbibliotheken ausgesondert hatte. Zweifellos befanden sich darunter Bücher minderen Wertes, die den Namen ‘großstädtische Asphaltliteratur’ reichlich verdienen. Im Übereifer wurden jedoch auch Bücher gebrandmarkt, die in der ganzen Welt als Zeugnisse reifster deutscher Erzählerkunst gelten. Von vielen Werken emsigen und ehrlichen Forscherwillens zu schweigen, die gleichfalls ihre Anerkennung auch außerhalb Deutschlands gefunden haben. Die Studenten übergaben die Bücher dem Feuer, weil sie ihnen ‘undeutsch’ scheinen. Vielleicht sind die jungen Leute, die sich an diesem Werk beteiligt haben, sich über den umfassenden und in die Weite strebenden Begriff des Deutschtums im geistigen Sinne noch gar nicht klar. Es gibt einen unerbittlichen Richter über das, was echt und unecht, national und unnational im wissenschaftlichen und künstlerischen Schaffen einer Generation ist. Dieser Richter ist die Zeit. Sie sondert unnachsichtig Weizen von Spreu. In den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts machte sich im Gefolge der großen politischen Ereignisse, die zur Einigung des deutschen Volkes geführt hatten, eine recht armselige und üble falsch-romantische Butzenscheibenliteratur breit. Gefühlvolle Zeitgenossen sahen in ihr den Ausdruck echtesten nationalen Schrifttums. Dieser ganze Bücherschwarm ist spurlos von der Zeit verschlungen worden. So werden auch erst künftige Jahre darüber urteilen, wieweit das Autodafé auf dem Berliner Opernplatz wirklich undeutsches Bücherwerk dem Feuer überliefert hat und wieweit die deutsche Studentenschaft des Jahres 1933 sich in ihrem Urteil über Echtheit von deutschen Büchern geirrt hat.“

Abschließen mag ein Resümee des unmittelbar betroffenen STEFAN ZWEIG in seinen Erinnerungen „Die Welt von Gestern“:

 „Ich muß bekennen, daß wir alle 1933 und noch 1934 nicht ein Hundertstel, nicht ein Tausendstel dessen für möglich gehalten haben, was dann hereinbrechen sollte. Allerdings: daß wir freien und unabhängigen Schriftsteller gewisse Schwierigkeiten, Unannehmlichkeiten, Feindseligkeiten zu erwarten hätten, war von vorneweg klar.

Sofort nach dem Reichstagsbrand sagte ich meinem Verleger, es werde nun bald vorbei sein mit meinen Büchern in Deutschland. Ich werde seine Verblüffung nicht vergessen. ‚Wer sollte Ihre Bücher verbieten?‘ sagte er damals, 1933, noch ganz erstaunt. ‘Sie haben doch nie ein Wort gegen Deutschland geschrieben oder sich in Politik eingemengt.’ Man sieht: all die Ungeheuerlichkeiten, die wenige Monate später schon Fakten sein sollten, waren einen Monat nach Hitlers Machtergreifung selbst für weitdenkende Leute noch jenseits aller Faßbarkeit… Doch längst war die Aktion zur Vernichtung jeden freien Wortes und jedes unabhängigen Buches in Deutschland nach ganz bestimmter Methode längst beschlossene Sache. Es wurde nicht gleich ein Gesetz erlassen, das kam erst zwei Jahre später, das unsere Bücher glatt verbot; man veranstaltete statt dessen zunächst nur eine Tastprobe, wie weit man gehen könne, indem man die erste Attacke auf unsere Bücher einer offiziell unverantwortlichen Gruppe zuschob, den nationalsozialistischen Studenten. Nach dem gleichen System, mit dem man ‘Volkszorn’ inszenierte, um den längst beschlossenen Judenboykott [am 1. April 1933] durchzusetzen, gab man ein geheimes Stichwort an die Studenten, ihre ‘Empörung’ gegen unsere Bücher öffentlich zur Schau zu stellen. Und die Studenten, froh jeder Gelegenheit, reaktionäre Gesinnung bekunden zu können, rotteten sich folgsam an jeder Universität zusammen, holten Exemplare unserer Bücher aus den Buchhandlungen und marschierten mit wehenden Fahnen mit ihrer Beute auf einen öffentlichen Platz. Dort wurden die Bücher, da es leider nicht erlaubt war, Menschen zu verbrennen, auf großen Scheiterhaufen unter Rezitierung patriotischer Sprüche zu Asche verbrannt. Zwar hatte nach langem Zögern Goebbels im letzten Augenblick beschlossen, der Bücherverbrennung seinen Segen zu geben, aber sie blieb noch immer eine halboffizielle Maßnahme, und nichts zeigt deutlicher, wie wenig sich Deutschland damals noch mit solchen Akten identifizierte, als daß das Publikum aus diesen studentischen Verbrennungen und Ächtungen nicht die geringsten Konsequenzen zog… Solange noch nicht Zuchthaus oder Konzentrationslager darauf stand, wurden meine Bücher noch 1933 und 1934 trotz allen Schwierigkeiten und Schikanen fast ebenso zahlreich wie vordem verkauft. Erst mußte jene Verordnung ‘zum Schutz des deutschen Volkes’ Gesetz werden, die Druck, Verkauf und Verbreitung unserer Bücher zum Staatsverbrechen erklärte, um uns gewaltsam den Hunderttausenden Deutscher zu entfremden.“

Und WOLFDIETRICH  SCHNURRE  schrieb: „Wenn die Nazis, die soviel Macht haben, es nötig haben, ein Buch zu verbrennen, wie mächtig muß dann erst ein Schriftsteller sein, der ein solches Buch geschrieben hat: offenbar doch so mächtig, daß seinen Gedanken kein Argument, einzig das fressende Feuer gewachsen ist!“

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In Fortschreibung der zur Bücherverbrennung herausgegebenen 71 Autoren umfassenden Liste veröffentlichte das Hauptamt der Studentenschaft am 10. Mai eine erweiterte Schwarze Liste, in der sich, aufgeschlüsselt in besonderen Abteilungen, unter einer wesentlich größeren Anzahl von Schriftstellern unter „Politik und Staatswissenschaften“ auch der Name des späteren ersten Bundespräsidenten Prof. Dr. Theodor Heuss befand. Hierzu brachte die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ am gleichen Tage folgenden Kommentar:

 „Auf die schwarze Liste der Autoren, deren Schriften aus Büchereien und Leihbibliotheken entfernt werden sollen, ist auch der Name Theodor Heuss geraten. Hier kann nur ein heimtückischer Zufall gewaltet haben; denn der Name des Schwaben Heuss hat in der z.T. sehr unsympathischen Nachbarschaft, in die er da in dieser Liste geraten ist, wirklich nichts zu suchen. Theodor Heuss, bekannt als Leiter der Hochschule für Politik, Herausgeber von Zeitschriften, Verfasser einer Reihe vielgelesener Bücher, stammt aus einer alten arischen Familie Württembergs und stand politisch wie früher der überwiegende Teil seiner südwestdeutschen Heimatecke auf dem Boden der Demokratie. Das hat ihn aber nie gehindert, im Kulturpolitischen eine saubere, strenge, nationale Haltung zu bewahren. Er ging politisch mit der bürgerlichen Linken und nahm gegenüber den Erscheinungen des geistigen Lebens eine Stellung ein, die sich wenig von der der besten Rechten unterschied. Er bewies durch seine Haltung, daß man demokratische Ideale vertreten konnte und zugleich mit dem, was ein großer Teil vor allem der Berliner demokratischen Presse als deutsche Kunst und deutsche Literatur vertrat, nicht das Mindeste gemein zu haben brauchte. Wir wissen nicht, auf welche Weise und auf welchem Wege der Name Theodor Heuss auf die schwarze Liste geraten ist; wir wissen nur, daß er dort nichts zu suchen hat, und daß man dem aufrechten Mann bitter unrecht tat, als man ihn in die Gesellschaft von Leuten brachte, die sich die Abneigung der jungen nationalen Bewegung zum großen Teil nur ehrlich verdient haben.“

Wenn der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ die Aufnahme von Theodor Heuss in eine der Schwarzen Listen fragwürdig erscheint, so dürfte das ein Jahr vor Hitlers Machtübernahme von ihm herausgegebene Buch „Hitlers Weg“ den Anlaß gegeben haben. Es enthielt die erste sachliche Analyse des Nationalsozialismus nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt. Es erlebte rasch hintereinander acht Auflagen und wurde in verschiedene europäische Sprachen übersetzt. Zugleich war es der Versuch eines demokratischen Politikers, in der politischen Diskussion Vernunft und Menschlichkeit an die Stelle von Fanatismus und Demagogie zu setzen. Der Versuch schlug fehl. Das Buch wurde auf den Scheiterhaufen unerwünschter Literatur geworfen.

Wie in etlichen anderen bekannt gewordenen Fällen von Kritiken und Beanstandungen am Zustandekommen der Schwarzen Listen, hüllten sich die Verantwortlichen für die auch in den folgenden Monaten verbreiteten Ergänzungen, insbesondere für den Bereich der Bibliotheken, grundsätzlich in Schweigen.

Da in den hiesigen Bonner Archiven weder über den Verlauf noch über das Ergebnis der Bonner Büchersammel- und Einzugsaktion entsprechende Unterlagen Auskunft geben, steht uns nur der in den zentralen Akten der Deutschen Studentenschaft befindliche, vom Berliner Hauptamt mit dem Rundschreiben Nr. 5 angeforderte Abschlußbericht der Bonner Studentenschaft vom 17. Mai 1933 zur Verfügung.

Danach wurde in Bonn der Einzug der auf der Schwarzen Liste genannten Bücher in Büchereien und im Buchhandel auf Anordnung des Oberbürgermeisters Ludwig Rickert durch Vertreter der Studentenschaft in Begleitung eines Kriminalbeamten vorgenommen. Das „inkriminierte Material“ wurde beschlagnahmt und bei der Gewerbepolizei sichergestellt. Eine erste Sichtung nahmen zwei fachkundige Studenten vor, doch die endgültige Entscheidung traf die Verwaltungsbehörde.

Im Bericht der Bonner Studentenschaft heißt es ferner: „Über die Schwarze Liste hinaus beanstandeten wir besonders sexual- und sexualbolschewistische Literatur, soweit sie lediglich auf niedere Instinkte des Publikums abzielte. (Diese war in überreichem Maße vorhanden). Der Prüfungs- und Kontrolldienst in den örtlichen Leihbüchereien wird im Einvernehmen mit der Gewerbepolizei auch in Zukunft fortgeführt, da wir der Ansicht sind, daß nur hierdurch der Aktion die dauernde Durchschlagskraft gewonnen und verbleiben wird.

Weiterhin beabsichtigen wir, einen Kontrolldienst in Unternehmungen wie Restaurants und Cafés mit Tanzmusik einzurichten, der darauf abzielt, dem neuen Geist nicht entsprechende Musik zu beanstanden, und haben bereits in größeren Unternehmungen Bonns Schritte in dieser Hinsicht unternommen.“

Das „Hauptamt für Aufklärung und Werbung“ der Deutschen Studentenschaft hatte außer dem Bericht „Artikel aus örtlichen Zeitungen und Bilder … für die Zusammenstellung eines Archivs“ erbeten und im übrigen angekündigt:

 „2. Es wird hiermit in der Zeit vom 22. bis 27. Mai eine Prüfungswoche angeordnet. Bis zum Beginn dieser Prüfungswoche ist mit den Buchhändlern, Leihbüchereien usw. Fühlung zu nehmen und mit ihrem Einverständnis werden dann in der Prüfungswoche Stichproben durch Beauftragte der Studentenschaft in einzelnen Büchereien durchgeführt. Es ist auf jeden Fall darauf zu achten, daß die Stichproben mit Einverständnis der Büchereien erfolgen. 3. In der Anlage geht Ihnen eine weitere ‘Schwarze Liste’ zu.“

Unklar bleibt, welche Bücher in Bonn verbrannt wurden, zumal die Studentenschaft dafür eintrat, die rechtlich fragwürdig ausgesonderten Bücher zurückzugeben und lediglich das weitere Verleihen dieser Werke zu untersagen. Man darf folglich davon ausgehen, daß die in der Sammelstelle in der Nassestraße aus privaten Beständen abgegebenen Bücher und Schriften vorrangig auf den Scheiterhaufen flogen.

Die von der Studentenschaft organisierten Bücherverbrennungen vom 10. und 11. Mai 1933 fanden im ganzen Reich mit etlichen dem gleichen Zweck dienenden spektakulären Veranstaltungen ihre Nachahmung. Wurden in Düsseldorf im Zuge der Auflösung der Gewerkschaften und Besetzung ihrer Gebäude am 2. Mai durch die SA die beschlagnahmten Schriften in Gegenwart einer großen Menschenmenge auf dem Marktplatz verbrannt, so wurde die studentische Aktion in den darauf folgenden Wochen in vielen Städten, u.a. in Karlsruhe, Heidelberg, Trier und Worms durch Hitlerjugend und SA nachvollzogen.

So berichteten die „Heidelberger Nachrichten“ am 17. Juni 1933, daß die „Kampfwoche der Hitlerjugend gegen Schund und Schmutz“ am gleichen Tage mit dem Verbrennungsakt ihren Höhepunkt finde, „zu dem die Gesamtjugend Heidelbergs sich auf dem Jubiläumsplatz vor der Stadthalle einzufinden hat“.

Es blieb in BONN nicht bei der von den Studenten organisierten Bücherverbrennung. Auch die Hitlerjugend fand sich mit Schülern der Städtischen Oberrealschule und des Realgymnasiums (seit 1938 Ernst-Moritz-Arndt-Schule, heute -Gymnasium) zusammen, um „zersetzende Bücher … und Schriften, die der Ausfluß des Geistes der letzten Jahre waren“, auf dem Schulhof den Flammen zu übergeben. „Diese Zeit ist vorbei. Deutsches Wesen hat über alle zersetzenden Kräfte, deutscher Geist  über jüdisch-marxistischen Intellekt den Sieg davongetragen.“ Genannt sind hier die „Asphaltliteraten“

Heinrich Mann und Erich Maria Remarque. Heinrich Mann, dem damaligen Präsidenten der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste galt der Vorwurf, die beiden dem Nationalsozialismus zugewandten Schriftsteller Hermann Stehr und Erwin Guido Kolbenheyer aus der Akademie ausgeschlossen zu haben. Tatsächlich war Kolbenheyer 1931 aus Protest gegen das Übergewicht der demokratisch gesinnten Schriftsteller freiwillig ausgeschieden und inzwischen, vor wenigen Tagen, vom Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Bernhard Rust wieder in die Akademie berufen worden, während Heinrich Mann ausgeschieden war.

Oberstudiendirektor Dr. Schmidt äußerte sich eher vorsichtig, er „sprach davon, daß diese Verbrennung, die als äußeres Zeichen den Bruch mit der letzten Vergangenheit darstelle, unterbaut sein müsse von dem Glauben jedes einzelnen an Deutschland und von gewissenhafter Pflichterfüllung“.

Der Unterbannführer der HJ Tücking „umriß mit knappen Worten den Zug der neuen Zeit“ und nutzte die Gelegenheit, für die Hitlerjugend zu werben. „Er sagte, daß der Führer Adolf Hitler das Bild der Volksgemeinschaft vorgezeichnet habe, und damit dieses Bild Wirklichkeit werde, der Weg dahin gerade von der Jugend gegangen werden müsse. Die Hitler-Jugend als die Staatsjugend werde dereinst die gesamte deutsche Jugend erfassen, in der sich Arbeiter, Handwerker und Schüler zusammenfinden. Bei den lodernden Flammen erklang das Horst Wessel-Lied, und mit ihm der Schwur, stets am Starken und am Guten und Echt-Deutschen festzuhalten.“ So konnte es am 22. Mai 1933 die Bonner Bevölkerung in einem von der HJ dem „General-Anzeiger“ zur Veröffentlichung übergebenen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Das Schulkollegium der Rheinprovinz hatte am 15. Mai den ihm unterstellten Schulen mitgeteilt, daß die Hitlerjugend des Bannes Koblenz-Trier am 19. Mai an den höheren Schulen eine Kundgebung für „Deutsche Geistigkeit und Kultur“ veranstalten werde, in deren Rahmen Schriften, die das Lehrerkollegium als undeutsch und zersetzend aus der Schülerbücherei zuvor entfernt habe, auf dem Schulhof verbrannt werden sollten. „Ich weise alle Leiter(innen) der höheren Schulen an, den HJ-Führern die für die Verbrennung in Frage kommenden Schriften der Schulbücherei zu überlassen und am 19. Mai den Schüler(innen) der Anstalt die Stunde von 12 bis 13 Uhr für diese Feier freizugeben.“

Am gleichen Tag, den 15. Mai, hatte die Abteilung für höheres Schulwesen beim Oberpräsidenten an alle „unterstellten höheren Schulen und an die Patronate der nichtstaatlichen öffentlichen höheren Schulen“ folgendes Ersuchen gestellt: „Betr. Säuberung der Schülerbüchereien“ „Bei der Durchprüfung der mir erstatteten Berichte und der mir übersandten Verzeichnisse hat sich ergeben, daß eine Reihe von Schulbüchereien noch mancherlei Werke enthalten, die geeignet sind, volkszersetzend zu wirken und die nationale Erhebung zu hemmen. Ich ersuche daher, die Schülerbüchereien von neuem gründlich durchzusehen und alle Bücher auszumerzen, die dem Geiste einer Erziehung zur deutschen Volksgemeinschaft widersprechen. Eine Anzahl von Büchern, die m.E. nicht länger in einer Schülerbücherei verbleiben können, sind in der anliegenden (vorläufigen) Aufstellung verzeichnet… Ich ersuche die Lehrerkollegien ferner, bei der Ergänzung der Schülerbüchereien in erster Linie solche Werke ins Auge zu fassen, die der nationalen Erhebung und der Erziehung zur Volksgemeinschaft zu dienen vermögen.“

Daß die eine Woche später im „General-Anzeiger“ berichtete Bücherverbrennung auf dem Schulhof der Oberrealschule und des Realgymnasiums aufgrund der Anweisung und des Ersuchens des Oberpräsidiums vom 15. Mai 1933 erfolgte, ist wahrscheinlich, auch wenn sich das letztere Schreiben nur in einer Akte des Stadtarchivs betreffend die Volksbüchereien befindet.

Auf seiner Rückseite sind alphabetisch z.T. mit allen, z.T. mit einigen Werken 26 Autoren aufgelistet, von denen nur sechs (Förster, Glaeser, Ludwig, Heinrich Mann, Marx und Remarque) aus den „Feuersprüchen“ bekannt sind. Jetzt begegnen etwa Alfred Döblin mit „Berlin – Alexanderplatz“, Thomas Mann mit dem „Zauberberg“, Walther Rathenau mit seiner „Kritik der dreifachen Revolution“, Arthur Schnitzler mit „Der Reigen“, Bertha von Suttner mit „Die Waffen nieder“, Fritz von Unruh und Jakob Wassermann mit je zwei Werken, Franz Werfel mit „Der Abituriententag“ und Arnold Zweig mit „Der Streit um den Sergeanten Grischa“ sowie Walter Hasenclever und Ernst Toller mit allen Werken.

Ein Großteil der Schüler dürfte hinsichtlich der Beurteilung der unter dem Sammelbegriff bzw. Deckmantel als „undeutsch“ oder „zersetzend“ bezeichneten Literatur gänzlich überfordert gewesen sein. Insofern kann der Sinn dieser Aktionen als äußerst fragwürdig angesehen werden, zumal sich nicht ausschließen ließ, daß Schriften, die bislang als Unterrichtslektüre auf dem Lehrplan standen, plötzlich dem deutschen Geist und Wesen, der deutschen Ehre, Sitte, Moral und dem Glauben als abträglich, ja als Verfälschung der deutschen Geschichte und Besudelung der deutschen Soldatenehre bezeichnet wurden. Schließlich überraschte es nicht, daß bei den an verschiedenen Orten auch noch im Juni durchgeführten Bücherverbrennungen, bei denen übrigens häufig große Mengen aufbewahrter Zeitungsbündel das wesentlichste zusammengetragene Material bildeten, die Verbindung zu den bei den Pfadfindern und christlichen Jugendverbänden geschätzten Sonnenwend- oder Johannisfeuern eine große Rolle spielten. Der politische Akzent wurde völlig überschätzt,, und die Aktionen fanden in der Bevölkerung nicht den erwarteten Zuspruch.

Nicht übergangen werden sollte im Zusammenhang mit der Bücherverbrennung auch die Behandlung des Schul- bzw. Lehrbuchs. Schließlich kam ihm in Verbindung mit der tiefgreifenden Veränderung des gesamten Schulwesens eine vorrangige Bedeutung zu. Gerade das in den Unterrichtsfächern Deutsch, Geschichte, Erdkunde und Biologie benutzte Lehrbuch vermochte zu allen Zeiten eine wahre Breitenwirkung zu erzielen und sowohl bei den Schülern als auch im familiären Bereich zur weltanschaulichen Ausrichtung einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zu leisten. Doch obwohl die vorhandenen und bislang in Anspruch genommenen Schulbücher den zur intensiven Behandlung empfohlenen Unterrichtsstoffen wie Vererbungslehre, Rassenkunde, Rassenhygiene, Familienkunde, Bevölkerungspolitik und nationalsozialistischen Geschichtsauffassung nicht entsprechen konnten, war es in Ermangelung des notwendigen Ersatzes zu früh, sich im Rahmen der Bücherverbrennung von ihnen zu trennen. Anhand von Konferenzprotokollen lassen sich die Bemühungen gut verfolgen, mit welch maßloser Form die Schulen pausenlos mit Erlassen, Verfügungen und Richtlinien überschüttet wurden, um den Lehrstoff auch mit den noch vorhandenen alten Lehrbüchern der neuen Zeit anzupassen. „Volk“ und „deutsche Nation“ sollten im Mittelpunkt stehen und Hitlerworte, in den Unterricht eingestreut, dabei eine wichtige Rolle spielen. Den Schülern sollte bewußt werden, daß sich eine Änderung der im Weimarer Staat herrschenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse nur auf dem Wege des Umsturzes hatte erreichen lassen.

Nach der programmatischen Rede des Reichsinnenministers Frick vom 9. Mai 1933, in der er vor den Kultusministern der Länder Leitlinien nationalsozialistischer Erziehungs- und Unterrichtsarbeit vorstellte, war nun auch den Schulbuchverlegern klar geworden, daß ein Neudruck der Lehrbücher im Rahmen einer einschneidenden Schulreform notwendig werde und es keineswegs genüge, die bisherigen Bücher hier und da ein wenig umzuschreiben. Da in Ermangelung geeigneter Arbeiten mit einer Neuauflage jedoch vorerst gar nicht zu rechnen war, begnügten sich die Verlage und folglich auch die Schulen mit dem Druck und der Ausgabe von Sonder- und Ergänzungsheften, die den im Juni 1933 erlassenen Frickschen Richtlinien bis zum Erscheinen neuer Lehrbücher 1935 entsprachen.

Die Mobilisierung jugendlicher Begeisterungsfähigkeit war politisch kühl kalkuliert und arrangiert. Das ganze Szenario war darauf gerichtet, einen Rausch gläubiger Hingabe zu erzeugen, der das eigene Denken, das Nachfragen nach den konkreten Inhalten der angebotenen Zielbegriffe verhinderte. Viele junge Menschen gerieten durch die über sie hereinbrechende abstrakte Schwärmerei in einen Realitätsverlust und in eine gefährliche Entwicklung, weil bei allen Entscheidungen, die sie für ihr eigenes Leben zu treffen hatten, ihr Gewissen und gesunder Menschenverstand außer Kraft gesetzt zu werden drohte und oft genug gesetzt wurde.

Schon wenige Monate nach der Machtübernahme läßt sich eine im weiteren Verlauf des Dritten Reichs immer massiver entwickelte Beeinflussungspraxis erkennen, die schließlich zu einer Verfügungsgewalt über die zu allen möglichen Anlässen mobilisierten jungen Menschen, besonders in den Organisationen der Partei und des Staates, führten.

Fragt man heute die damals Dabeigewesenen und die den Krieg Überlebenden, wie es möglich war, daß es soweit kommen konnte und sie an der symbolischen Vernichtung der von den neuen Machthabern unerwünschten Literaten und Kunstschaffenden teilnahmen, dann hört sich die Antwort nicht etwa selbstkritisch, sondern eher realistisch an, daß nämlich die Vorgänge im Mai 1933 Folge einer jahrelang vorausgegangenen politischen und wirtschaftlichen Entwicklung waren und im Ergebnis das aufgewühlte Denken jener Tage letztlich den inneren Zwang zum Mitmachen auslöste, ohne zu ahnen, wohin der Weg führte.

Man wollte sich der Zukunft öffnen, ohne das kulturelle und ethische Erbe dabei aufs Spiel setzen. Es herrschte eine vaterländische Begeisterung und weithin freudige Zustimmung unter den Studierenden zur Staatsumwälzung und Abkehr von den zwar demokratisch gewählten oder eingesetzten, jedoch fast nur noch mit Notverordnungen herrschenden, fortwährend wechselnden Minderheitsregierungen, Die Vereinbarkeit von christlicher Religion, Humanismus und Nationalsozialismus hielten viele nicht nur für möglich, sondern, auf die künftige Lebensform des deutschen Volkes bezogen, für wünschenswert.

Der „Börsenverein der deutschen Buchhändler“

Wenige Tage nach dem Schauspiel der Bücherverbrennung hielt am 15. Mai 1933 Reichsminister Dr. Goebbels in Leipzig auf einer Hauptversammlung des „Börsenvereins der deutschen Buchhändler“ eine richtungweisende Rede über die Aufgaben des Buchhandels und die Bedeutung des Buchs in der nationalsozialistischen Schrifttumspolitik. Seinen Ausführungen war zu entnehmen, daß das deutsche Buch für den Börsenverein nicht nur eine Sache des Geschäfts sein könne, sondern daß es Aufgabe, ja die Pflicht des Verwalters dieses so wichtigen Kulturguts sei, zur „Befruchtung des Volkslebens“ im Lande der Dichter und Denker beizutragen.

Mit diesem mahnenden Hinweis lief der Minister offene Türen ein, zumal ihm der Vorsitzende des Börsenvereins versicherte, daß der Buchhandel schon lange auf die durch Hitler herbeigeführte Wende zur Erneuerung des deutschen Schicksals gewartet habe und der Börsenverein im Denken und Handeln seit seiner Gründung von einer nationalen Prägung durchdrungen sei. Politisch links stehende Autoren hätten ja schließlich nicht ohne Grund von einem national gesinnten „Börsenblatt für den deutschen Buchhandel“, dem für Buchhändler und Verleger bestimmten Hausblatt des Börsenvereins, gesprochen, das 1933 schon im 100. Jahrgang erschien.

So hatte es das Börsenblatt auch nur bei einer unter „Kleine Mitteilungen“ kritik- und kommentarlosen Bekanntgabe der am 4. Februar 1933 erlassenen „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes“ belassen, obwohl sie den Buchhandel insofern auch betraf, als Druckschriften polizeilich beschlagnahmt und eingezogen werden konnten, sofern sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdeten. Das war ein Freibrief, der den politischen Amtsträgern die Möglichkeit bot, nach eigenem Gutdünken und Ermessen in den Buchhandel einzugreifen. Auch weitere Verordnungen und Verbote zur Beschlagnahme von Druckschriften wurden im Börsenblatt ohne Kommentar zur Kenntnis gebracht und damit wohl oder übel den Buchhändlern zum widerstandslosen Erdulden empfohlen.

Die späte Stellungnahme des Börsenblatts zur „Aktion wider den undeutschen Geist“, die Nichterwähnung der Bücherverbrennung am 10. Mai – weder vorher noch unmittelbar danach – und die erst später am 13. Mai 1933 im Börsenblatt veröffentlichte, praktisch durch die Bücherverbrennungen überholte Liste von zwölf Schriftstellern, die „für das deutsche Ansehen als schädigend zu erachten sind“, ließen es an jeglichen Orientierungshilfen für den Buchhandel fehlen. Der besondere Umstand, daß die Bücherverbrennungen mit ihren vorausgegangenen Sammelaktionen und Buchbeschlagnahmungen ausschließlich in den z.T. relativ unbedeutenden Hochschulorten stattfanden, führte bei den Buchhändlern und Verlegern im ganzen Reich bezüglich ihres Verhaltens zu der in nichtamtlichen Zeitungsveröffentlichungen als „undeutsch“ bezeichneten und folglich auszumerzenden Literatur zu vielseitigen Fragen und natürlich auch zu Unverständnis über die ausbleibenden Informationen, die sie von ihrem Fachblatt, dem Börsenblatt, erwarteten. Es gab keine Warnungen zum Verhalten bei eventueller Ausbreitung der „Aktion wider den undeutschen Geist“, auch keine Hinweise, sich von der unliebsam gewordenen Literatur zu trennen. Wohl als Beruhigungspille gedacht, gab es hingegen die Mitteilung, daß durch das Ermächtigungsgesetz die Voraussetzungen geschaffen seien, die zuvor von Unsicherheit und Zerrissenheit gekennzeichnete politische Situation nun wieder in geordnete Bahnen zu lenken, um damit auch im Buchhandel eine wirtschaftliche Stabilität zu bewirken.

Hieß es in der Satzung, daß der „Zweck des Börsenvereins“ die Herstellung und Wahrung einer Arbeitsgemeinschaft des gesamten Buchhandels zur Vertretung seiner Standes- und Berufsinteressen im weitesten Umfange sei und daß es ihm obliege, das Wohl der Angehörigen des deutschen Buchhandels zu pflegen und zu fördern, so waren auf der anfangs erwähnten Hauptversammlung am 13. Mai 1933 bereits die ersten Anzeichen einer „Gleichschaltung“ des Börsenvereins eindeutig zu erkennen. Die Zwänge der NS-Literaturpolitik nahmen geradezu diktatorische Formen an, die widerstandslos hinzunehmen und umzusetzen waren. So lautete dann schließlich auch in dem auf der Hauptversammlung beschlossenen „Sofortprogramm des deutschen Buchhandels“ der letzte Absatz:

 „Der Vorstand des Börsenvereins der deutschen Buchhändler ist sich mit der Reichsleitung des Kampfbundes für deutsche Kultur und der Zentralstelle für das deutsche Bibliothekswesen darin einig geworden, daß die zwölf Schriftsteller Lion Feuchtwanger – Ernst Glaeser – Arthur Holitscher – Alfred Kerr – Egon Erwin Kisch – Emil Ludwig – Heinrich Mann – Ernst Ottwald – Theodor Plivier – Erich Maria Remarque – Kurt Tucholsky – Arnold Zweig für das deutsche Ansehen als schädigend zu erachten sind. Der Vorstand erwartet, daß der Buchhandel die Werke dieser Schriftsteller nicht weiter verbreitet.“

Diese zwölf Schriftsteller waren dann auch in der einige Tage danach im Börsenblatt veröffentlichten etwa 130 Autoren umfassenden Schwarzen Liste mit einem Kreuz gekennzeichnet. Auf diese Weise wurde noch einmal der Hinweis gegeben, daß sie als die vom Buchhandel auszumerzenden eigentlichen Schädlinge im deutschen Schrifttum galten.

Da diese Liste jedoch in erster Linie der Säuberung der Volksbüchereien dienen sollte, wurde den Buchhändlern eingeräumt, bis zur Reduktion auf ein erträgliches Maß die Werke der nicht angekreuzten Autoren zunächst noch weiter im Verkaufsangebot zu belassen. Offensichtlich bestand kein Einwand, die überall vorhandenen Lagerbestände bei der nach den Bücherverbrennungen zu erwartenden größeren Nachfrage interessierter Leser zu räumen und so die finanziellen Verluste des Buchhandels doch ein wenig in Grenzen zu halten.

Zur Veröffentlichung der Schwarzen Liste hieß es weiter, daß es einer ernsten und gewissenhaften und nicht von heute auf morgen zu erledigenden gründlichen Prüfung des gesamten deutschen und antideutschen Schrifttums der letzten 15 Jahre bedürfe, einer ehrlichen Reinigung des gesamten Buchhandels. Auch wenn dabei manche Buchhändler feststellen müßten, daß ihr Lager im wesentlichen aus literarischer Schundliteratur bestehe, so dürfe das erst recht nicht davon abhalten, den deutschen Buchhandel zum Kampf gegen den Kulturbolschewismus zu zwingen.

Und weiter hieß es: „Man regt sich jetzt mancherorts darüber auf, daß die Studenten bei ihren Verbrennungen der Schundliteratur nicht immer die Richtigen ins Feuer geworfen hätten. Das mag sein. Die Absicht der Studenten aber war gut und richtig. Für eine bessere Aufklärung ist die deutsche Jugend immer zu haben. Wer hat sie ihr aber bisher gegeben? Die Universitätsprofessoren nicht. Die deutsche Presse erst recht nicht, und der deutsche Buchhandel im großen und ganzen gesehen schon gar nicht! Aber Jugend und Volk sind erwacht und werden sobald nicht wieder einschlafen. Jeder Buchhändler halte sein Lager und sein Schaufenster so, daß er vor dem erwachten Gewissen des Volkes und vor der Sehnsucht der Jugend nach Sauberkeit und nationaler Würde bestehen kann, dann werden Volk und Jugend ihm wieder die hohe Achtung entgegenbringen, die der echte deutsche Buchhandel immer verdient. Wer sich aber auch künftig gegen Volk und Jugend versündigt, beklage sich nicht, wenn er von den Empörten zu seinem Schaden zur Verantwortung gezogen wird.“

In den beiden folgenden Jahren war die Unsicherheit im Buchhandel und in den Verlagen besonders groß, was in den Geschäften unbeanstandet in die Auslage gebracht, also zum Verkauf angeboten werden konnte. Bis zum Frühjahr 1935 herrschte aufgrund einer Vielfalt der von verschiedenen Stellen veröffentlichten Verbotslisten ein völliges Durcheinander. Insgesamt sollen allein schon bis zum Dezember 1933 über 1000 Bücher verboten worden sein. Zumeist von bekannten Autoren, die bei der ersten Säuberungswelle unberücksichtigt geblieben, aber bei näherem Hinsehen aufgrund ihrer Herkunft und politischen Vergangenheit untragbar für die neue Literaturpolitik waren.

Im April 1935 wurde schließlich die Verbotspraxis vereinheitlicht und die Reichsschrifttumskammer zum alleinigen Wächter über die Reinheit der deutschen Literatur erklärt. Die von ihr herausgegebenen Listen des schädlichen und unerwünschten Schrifttums wurden bis 1941 ständig ergänzt und als „streng vertraulich“ gekennzeichnet.

Das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel veröffentlichte am 16. Mai 1933 „Grundsätzliches zur Anfertigung von Schwarzen Listen :

1.  Die Maßstäbe für die Anfertigung von Schwarzen Listen sind literarpolitischer Natur. Für sie gilt die fundamentale, für jede politische Entscheidung notwendige Vorfrage: Wer ist der eigentliche Feind? Gegen wen richtet sich der Kampf?

2. Der Kampf richtet sich gegen die Zersetzungserscheinungen unserer artgebundenen Denk- und Lebensform, d.h. gegen die Asphaltliteratur, die vorwiegend für den großstädtischen Menschen geschrieben ist, um ihn in seiner Beziehungslosigkeit zur Umwelt, zum Volk und zu jeder Gemeinschaft zu bestärken und völlig zu entwurzeln. Es ist die Literatur des intellektuellen Nihilismus.

3. Diese Literaturgattung hat vorwiegend, jedoch nicht nur jüdische Vertreter. Zudem ist nicht jeder jüdische Schriftsteller ein Asphaltliterat: z.B. vertritt die von dem Zionisten E. bin Gorion an den literarischen Assimilationsjuden geübte Kritik das jüdisch-völkische Prinzip.

4. Nicht jeder russische Schriftsteller ist Kulturbolschewist. Dostojewski und Tolstoi gehören nicht auf den Index (ohne Dostojewski kein Moeller van den Bruck!). Neuanschaffungen von Russen sind nicht nötig, ebensowenig wie alle neuen Russen (z.B. Fadejew, Tarassow-Rodionow) vernichtet zu werden brauchen.

5. Es empfiehlt sich, grundsätzlich von jedem, auch dem gefährlichsten Buch, je ein Exemplar in den großen Stadt-, Haupt- und Studienbüchereien für die kommende geistige Auseinandersetzung mit den Asphaltliteraten und Marxisten im Giftschrank zu behalten. Dies gilt vor allem für die wissenschaftlich-marxistische Literatur, die in Volksbüchereien natürlich entbehrlich ist.

6. Technisch ist die Säuberung etappenweise, nach Maßgabe der möglichen Neuanschaffungen zur Auffüllung der entstandenen Lücken mit deutschem Schrifttum, durchzuführen.

7.  Die für die Ausleihe gesperrten Bücher sind am praktischsten in drei Gruppen einzuteilen:

Gruppe 1 fällt der Vernichtung anheim, z.B. Remarque, Gruppe 2 kommt in den Giftschrank, z.B. Lenin, Gruppe 3 enthält die zweifelhaften Fälle, die eingehend zu prüfen sind, ob später zu Gruppe 1 oder 2 gehörig, z.B. Traven.

8. Wichtiger als die Säuberung ist der Bestandsaufbau im Sinne des neuen Deutschland.“

 

Die Emigration deutscher Schriftsteller

 

„Die Fahrt ins Exil ist ‘the journey of no return’. Wer sie antritt und von der Heimkehr träumt, ist verloren. Er mag wiederkehren – aber der Ort, den er dann findet, ist nicht mehr der gleiche, den er verlassen hat, und er ist selbst nicht mehr der gleiche, der fortgegangen ist. Er mag wiederkehren, zu Menschen, die er entbehren mußte, zu Stätten, die er liebte und nicht vergaß, in den Bereich der Sprache, die seine eigene ist. Aber er kehrt niemals heim“, schrieb Carl Zuckmayer 1966 in den Erinnerungen „Als wär’s ein Stück von mir“. Über viele deutsche Schriftsteller und Künstler im amerikanischen Exil verfaßte der 1939 selbst in die USA emigrierte Dramatiker für den amerikanischen Geheimdienst Office of Strategic Service einen erst 2002 veröffentlichten „Geheimreport“.

Als aufgeputschte Studenten und mit ihnen Professoren ihrer Universitäten mit all den Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 das Todesurteil gegen wichtige Teile der deutschen Literatur proklamierten, hatten schon viele der betroffenen Autoren außerhalb der deutschen Grenzen im Exil eine vorübergehende Bleibe gesucht und hatten andere sich dem Zugriff entzogen, und wieder andere waren innerhalb der deutschen Grenzen in die Katakomben gegangen, hatten ein Refugium bei jenen gefunden, die mit ihrem Herzen und Verstand den Terror und die Barbarei ablehnten. Viele Schriftsteller, die sich den Maßnahmen und Maßstäben des Propagandaministeriums widersetzten, die die Ideologie der neuen Machthaber im Deutschen Reich ablehnten, wurden mit vielfältigen Arbeitsschwierigkeiten und Berufsverbot am Ende zur Schaffenslosigkeit gezwungen.

Es ist beispiellos: 250 Schriftsteller, darunter in der ganzen Welt geachtete und bekannte Namen der zeitgenössischen Literatur, verstummen oder verlassen ihr Land.

Und mit ihnen sind es Tausende zur kulturellen Elite Deutschlands zählende Wissenschaftler, Künstler und Musiker, unter ihnen 30 damalige und spätere Nobelpreisträger, die fortan den deutschen Geist in fremden Landen repräsentieren.

Über 2000 Gegner des Nationalsozialismus aus literarischen und publizistischen Berufen nehmen nicht das Risiko einer Verkümmerung ihrer Kreativität oder der aufgrund ihrer jüdischen Abstammung schon früh erkennbaren Gefährdung der ganzen Familie auf sich und fassen den Entschluß zur Emigration, für viele zu einem Schritt, ja zu einer Flucht ins völlig Ungewisse. Und Flucht ist niemals ein erhebendes oder beglückendes Schauspiel, viele der Emigranten haben darunter sehr gelitten. Und hinzu kam die häufige Selbstbezichtigung nach moralischem Fehlverhalten, Deutschland verlassen, freiwillig den Platz geräumt und damit die Opposition im Stich gelassen zu haben. Doch was sie taten, das geschah ja gar nicht freiwillig, sondern unter direkter Bedrohung ihres Lebens.

Erich Mühsam, Theodor Lessing und auch Carl von Ossietzky kamen in den Fängen der Gestapo um. Ernst Wiechert, Günther Weisenborn, Karl Schnog und Ernst Niekisch haben ihr Bekenntnis zur Freiheit der Worte in den Konzentrationslagern mit ihrer Gesundheit bezahlen müssen, während Kurt Tucholsky, Ernst Toller, Walter Hasenclever, Ernst Weiß, Walter Benjamin, Carl Einstein, Stefan Zweig und andere aus Verzweiflung und Mutlosigkeit in den Freitod gingen.

Und von der ersten Liste der verbotenen Literatur, die die „Berliner Nachtausgabe“ am 23. April 1933 mit den Namen von 43 Schriftstellern veröffentlichte, unter ihnen so bekannte Autoren wie Thomas Mann, Heinrich Mann, Klaus Mann, Bertold Brecht, Max Brod, Alfred Döblin, Albert Ehrenstein, Lion Feuchtwanger, Egon Erwin Kisch, Theodor Plivier, Erich Maria Remarque, Ludwig Renn sowie Arnold und Stefan Zweig, gingen allein 28 ins Exil.

Es trieb sie alle in die Welt hinaus und gab sie dem Flüchtlingslos in seinen vielfältigen Abarten preis. Manche gingen auf der Flucht zugrunde. Andere konnten sich in Sicherheit bringen und mußten erfahren, daß es nicht genügt, das nackte Leben zu retten, daß man eine Heimat haben muß und ohne sie an gebrochenem Herzen sterben kann. Europa war seit 1933 so zerrüttet, daß viele der Emigranten mit ihren Familien im Ausland bestenfalls geduldet wurden und unter größter Armut litten. „Schon die Verpflanzung in ein anderes Sprachgebiet verletzte etliche Schriftsteller lebensgefährlich. Sie konnten ihre Sprache nicht wie ein Kleid vertauschen; hielten sie ihr aber die Treue, so liefen sie Gefahr, an ihrer Isolierung zu ersticken.“

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Die Bücherverbrennung wirkte über den Zusammenbruch des Dritten Reichs hinaus. Vieles, was in den 20er Jahren gedichtet und geschrieben wurde, blieb weitgehend vergessen. Jürgen Serke hat in seinem Buche „Die verbrannten Dichter“ das Schicksal von nur wenigen der betroffenen Schriftsteller aufgezeichnet. Sie lassen erkennen, welchen furchtbaren Eingriff die Machtübernahme der Nationalsozialisten in das Leben dieser Menschen vorgenommen hatte. Die Liste derjenigen, die im Dritten Reich in gleicher Form diffamiert wurden, trägt hunderte von Namen. So rigoros ließ sich kein Volk von einer ganzen Literaturepoche trennen. Es war jene Kunst, welche die Zerfallserscheinungen des Kapitalismus offenlegte und die gegen eine Restauration kämpfte, die mit dem Nationalsozialismus in die Katastrophe führte.

Stellvertretend für die 250 Schriftsteller sei im Folgenden das Schicksal

von 13 Autoren und einer Dichterin kurz nachgezeichnet.

Franz Jung, dessen Arbeiterromane 1933 verbrannt wurden, lebte jahrelang unter falschem Namen, mit dem er sich vor den Nazis tarnte. Er war als Schriftsteller kein Prophet, eher ein hin- und hergestoßener Zeuge seiner Zeit und als Zeuge immer das Opfer. Einer der letzten Sätze, die er schrieb, lautet: „Der Mensch, der in seine Zeit hineinschreit, bleibt ohne Echo.“

Else Lasker-Schüler verließ 1933 mit 64 Jahren Deutschland. Kurz vor ihrer Flucht wurde sie von SA-Männern auf offener Straße mit einer Eisenstange niedergeschlagen. In Zürich, wo sie Zuflucht suchte, irrte sie hilflos durch die Straßen. Auf einer Parkbank übernachtete sie und wurde wegen Landstreicherei festgenommen. So erfuhr die Schweizer Öffentlichkeit von der Dichterin. Und die Dichterin erfuhr in der Schweiz von der öffentlichen Verbrennung ihrer Bücher in Deutschland. 1934 begab sie sich nach Palästina. Ihr letzter Gedichtband erschien in deutscher Sprache kurz vor ihrem Tode in Jerusalem. Darin steht das erschütternde Gedicht einer Frau, die unerkannt in ihren Gefühlen geblieben ist.

„Ich liege wo am Wegrand

    übermattet

Und über mir die finstere kalte

    Nacht

Und zähl schon zu den Toten längst

    bestattet.

Wo soll ich auch noch hin – vom

    Grauen überschattet –

die ich vom Monde Euch mit

    Liedern still bedacht

und weite Himmel

    blauvertausendfacht.

Die heilige Liebe, die ihr blind

    zertratet,

Ist Gottes Ebenbild …!

    Fahrlässig umgebracht.“

Else Lasker-Schüler starb in Jerusalem und wurde am 24.Januar 1945 auf dem Ölberg beigesetzt.

Albert Ehrensteinwar ein Mensch, der vielen half und sich selbst nicht zu helfen wußte. Während des Ersten Weltkriegs veröffentlichte er sein lyrisches Votum gegen den Krieg mit dem Titel „Der Mensch schreit“. Er faßte das Entsetzen in Worte, machte die Worte zu Fluch und Gericht. Mit dem Schriftsteller Walter Hasenclever, dem Religionsphilosophen Martin Buber und dem Verleger Ernst Rowohlt traf er sich in Weimar, um den Krieg zu verurteilen. Befreundet war er mit Oskar Kokoschka und Elisabeth Bergner. Die Katastrophe in Deutschland ahnend, wurde sein Ton in den Büchern und Gedichten immer schriller. Ehrenstein verließ Deutschland vor dem Reichstagsbrand, seine Werke gingen bei der Bücherverbrennung in Flammen auf. In der Schweiz drohte ihm die Ausweisung. Hermann Hesse setzte sich für ihn ein, erreichte aber nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Über Aufenthalte in England, Frankreich und Spanien traf er 1941 in den USA ein, wo er die Hilfe von Thomas Mann und anderen Exilschriftstellern in Anspruch nehmen konnte. 1949 bot er in Deutschland seine Bücher an, doch niemand wollte sich mit ihnen befassen. Es war die Zeit des Kalten Kriegs und da paßten seine Werke nicht in die Landschaft. Am 8. April 1950 starb Albert Ehrenstein verarmt in New York.

Alfred Döblin war Kassenarzt in einem Berliner Proletarierviertel und gründete mit Herwarth Walden die Zeitschrift „Der Sturm“, in der seine ersten Erzählungen erschienen. Nach mehreren vorausgegangenen Romanen erzielte er mit „Berlin Alexanderplatz“ innerhalb von zwei Jahren 45 Auflagen. Für ihn war Freiheit die Ablehnung jeden Zwangs, war Menschlichkeit, Toleranz und friedliche Gesinnung. Er gab seinen jüdischen Glauben auf und wurde Katholik. Nach dem Reichstagsbrand stand Döblin auf der Verhaftungsliste. Er konnte entkommen und begab sich über die Schweiz nach Paris, wo er drei Jahre später die französische Staatsangehörigkeit zugesprochen bekam. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete er in Mainz eines der besten Nachkriegsblätter „Das Goldene Tor“ und half dabei, die „Akademie der Wissenschaften und Literatur“ aufzubauen. Über ein Dutzend Bücher Döblins blieben auf dem deutschen Buchmarkt kaum beachtet. 1953 ging er ein zweites Mal mit den Abschiedsworten in die Emigration nach Paris: „Es liegt etwas wie ein Boykott des Schweigens über mir.“ Im Brief eines Mitglieds der Mainzer Akademie hieß es damals: „Alfred Döblin ist aus Deutschland ausgezogen. Auf einer Bahre brachten ihn zwei blaugeschürzte Bedienstete des Centralhotels in Mainz auf den Bahnsteig. Dort saß er zusammengekauert in kalter rauchiger Zugluft, ein Großer der deutschen Literatur, verraten und verkauft, jedenfalls vereinsamt und verbittert, krank und müde, wenngleich sehr wachen Geists.“ Alfred Döblin starb 1957 im Alter von 78 Jahren. Er wurde in den Ostvogesen neben seinem Sohn Wolfgang begraben, der sich als französischer Kriegsfreiwilliger das Leben genommen hatte, als er in deutsche Gefangenschaft geraten war.

Walter Hasenclever, der 1917 für das Antikriegsstück „Antigone“ den Heinrich-von-Kleist-Preis erhielt, wandte sich weitgehend dem Theater zu und schrieb neben Gedichtbänden Komödien, Dramen und Schauspiele. Der Verbrennung seiner Bücher 1933 folgte noch im gleichen Jahr seine Ausbürgerung. Er lebte fortan in Italien und Frankreich. Nach Kriegsausbruch wurde er dreimal von den Franzosen interniert. Schließlich sah er nach dem deutschen Überfall auf Frankreich für sich keine Chance mehr und nahm sich das Leben. Schon 1917 dichtete er:

„Der Zug entgleist. Zwanzig Kinder krepieren.

Die Fliegerbomben töten Mensch und Tier.

Darüber ist kein Wort zu verlieren.

Die Mörder sitzen im Rosenkavalier.“

Und vor dem Selbstmord bekannte er: „Wir Verbannten. Wir Heimatlosen. Wir Verfluchten. Was haben wir noch für ein Recht zu leben? Was wir gedacht und geschrieben haben, was wir, Angehörige eines Volkes, das nie seine Dichter begriffen hat, dennoch glaubten verkünden zu müssen – es versinkt im Gespensterzug der Dämonen.“

Erich Mühsam, wegen seiner Beteiligung an der Münchner Räterepublik zu 15 Jahren Festung bestraft, aus der er nach sechsjähriger Haft aufgrund der Bemühungen von Albert Einstein, Kurt Tucholsky, Else Lasker-Schüler und Heinrich Mann entlassen wurde, führte mit seiner Zeitschrift „Fanal“, mit Büchern und Theaterstücken einen unversöhnlichen Kampf gegen den aufkommenden Faschismus in Deutschland. Er warnte vor der „Hitler-Bande“, denn es werde eine schreckliche Zeit kommen, wenn die standrechtlichen Erschießungen, die Pogrome, Plünderungen und Massenverhaftungen das Recht in Deutschland darstellen. Und er sollte recht behalten. Zu den in der Nacht des Reichstagsbrands vom 27. auf den 28. Februar 1933 verhafteten 4000 Kommunisten, Sozialdemokraten und Liberalen gehörte auch Erich Mühsam. Joseph Goebbels sprach das Todesurteil über ihn: „Dieses rote Judenaas muß krepieren.“ Im Juli 1934 wurde der 56jährige Erich Mühsam im KZ Oranienburg von SS-Leuten ermordet. Trotz vorausgegangener Warnung suchte seine Frau Zuflucht in der Sowjetunion, wo sie nach der Herausgabe der Broschüre „Der Leidensweg des Erich Mühsam“ verhaftet und wegen Mißbrauchs der Gastfreundschaft zu 20 Jahren Arbeitslager nach Sibirien deportiert wurde. Sie starb 1962 sechs Jahre nach ihrer Freilassung.

Theodor Kramer galt als der Dichter der armen Leute in Österreich. Carl Zuckmayer nannte ihn den stärksten Lyriker Österreichs seit Georg Trakl. Seine Gedichte fand man verstreut in den Feuilletons vieler deutscher Tageszeitungen. 1933 wurden seine Werke in die Flammen geworfen. Sein schönster Lyrikband „Mit der Ziehharmonika“ erschien 1936 nur noch in Österreich. Nach dem „Anschluß“ Österreichs an das nunmehr „Großdeutsche Reich“ konnte Kramer, der jüdischer Herkunft war, nach England entkommen. Seine Mutter wurde im KZ Theresienstadt ermordet. Er  kehrte 1957, als der österreichische Bundespräsident dem 60jährigen eine Gnadenpension zusprach, in sein Vaterland zurück, um am 3. April 1958 zu sterben.

Armin T. Wegner, verheiratet mit einer Jüdin, war einer der großen Reiseschriftsteller der 20er Jahre, schrieb Gedichte und Romane. Seine Bücher erzielten hohe Auflagen. Im April 1933 verfaßte er ein Schreiben an Adolf Hitler, eine Warnung, die sich gegen die beginnende Judenverfolgung richtete. Wegner wurde verhaftet und 14 Monate im KZ Oranienburg mißhandelt. Seine Bücher wurden verbrannt. Er lebte nach seiner Flucht in England, in Israel und starb 1976 in Italien als, wie er selbst sagte, Heimatloser.

Ernst Toller, als Dramatiker der Weimarer Republik weltberühmt, nahm sich im amerikanischen Exil 1939 das Leben. Als politischer Mensch war er in eine Einsamkeit verstrickt, von der die meisten nichts ahnten. Er war ein Deutscher und wurde ein Opfer der Deutschen. Seine Bücher wurden öffentlich verbrannt, sein Name stand 1933 auf der ersten Ausbürgerungsliste. Aus dem Feld schrieb er 1914 an das Gericht seiner Heimatstadt, es möge ihn aus den Listen der jüdischen Gemeinschaft streichen. Er sei Deutscher, nichts als Deutscher. In München wurde er 1919 verhaftet und wegen Hochverrat zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. Beim Licht einer eingeschmuggelten Kerze entstand seine Komödie „Der entfesselte Wotan“, in der er schon 1923 die Karriere Adolf Hitlers mit einer Genauigkeit vorwegnahm, als sei das Stück erst nach 1945 geschrieben.

Walter Mehringwar einer der wenigen großen Satiriker, die Deutschland im 20. Jahrhundert hervorbrachte. Gebürtiger Berliner, Jude, den die Nazis vergasen wollten. Joseph Goebbels schrieb 1933 im „Angriff“ einen langen Artikel gegen Walter Mehring mit der Überschrift „An den Galgen“. Mehring entkam, seine Mutter wurde in Auschwitz ermordet. Im Exil wurde er nach seiner Flucht aus Frankreich amerikanischer Staatsbürger, kehrte aber nach Kriegsende nach Europa zurück, um als politisch Verfolgter von einer Entschädigungsrente leben zu müssen. Walter Mehring starb im April 1976 im Domizil seiner letzten Lebensjahre, einem kleinen Hotelzimmer in Zürich mit Blick auf den Hinterhof. Er hatte resigniert und schrieb:

„Baut euch ein Nest! Vergeßt!

Vergeßt, was man euch aberkannt und euch gestohlen!

Kommt ihr von Isar, Spree und Waterkant

Was gibts da heut zu holen?

Die ganze Heimat und das bißchen Vaterland

die trägt der Emigrant von Mensch zu Mensch

von Ort zu Ort an seinen Sohlen

in seinem Sacktuch mit sich fort.“

Paul Zech arbeitete mehrere Jahre in Bottrop und Elberfeld untertage. Die Welt derKohlengruben, des Industrieproletariats und der Städte wurde sein literarisches Thema. Er arbeitete wie ein Besessener, etwa 30 Gedichtbände, 28 Dramen und acht Romane kamen von ihm zu Lebzeiten heraus. Als Hitler an die Macht kam, wurde Zech auf einer Geburtstagsfeier verhaftet. Freigelassen, fand er die Bibliothek in seiner Wohnung ausgeräumt. Er wußte, was auf ihn zukommen würde, und emigrierte. Er glaubte, bei seinem Bruder in Argentinien unterzukommen, doch der distanzierte sich von dem antifaschistischen Schriftsteller. Paul Zech, der 1919 für seine Arbeiterliteratur aus den Händen Heinrich Manns den Heinrich-von-Kleist-Preis erhalten hatte, mußte sich in der argentinischen Emigration als Hausierer, Nachtwächter und Klavierspieler in einer Hafenkneipe sein Geld verdienen. Die Heimatlosigkeit zehrte ihn aus. Er starb 1946 und hinterließ an die 50 Buchmanuskripte, die in der Emigration entstanden waren. Fast nichts davon wurde nach 1945 veröffentlicht.

Oskar Maria Graf hinterließ elf Romane, 14 Bände Erzählungen, acht autobiographische Werke, drei Gedichtbände und viele andere Texte. Doch nach dem Krieg wurden sie bis auf seine bayerischen Schnurren kaum beachtet. Die große literarische Anerkennung fand er 1927 mit dem Buch „Wir sind Gefangene“. Zustimmung für dieses Werk kam von vielen bekannten Schriftstellern. Doch der nationalsozialistische „Völkische Beobachter“ drohte, daß man für den von einem schamlosen Judenpublikum hochgelobten Kriegsdrückeberger den Galgen bereithalte. 1933 ging Oskar Maria Graf in die Emigration. Zuvor hatte während seiner Abwesenheit von München die Polizei seine dortige Wohnung durchwühlt und einen großen Teil vorhandener Manuskripte, Quellenmaterial, seine Geschäftspapiere und einen großen Teil seiner Bücher beschlagnahmt. Um seiner Verhaftung und dem KZ zu entgehen, begab er sich mit seiner Frau umgehend nach Österreich. Im Juni 1933 wurde Graf aus dem Deutschen Reich ausgebürgert. In einer Sonderveranstaltung der Münchner Universität wurden daraufhin seine Bücher verbrannt.

Ernst Weiß, im bürgerlichen Beruf Mediziner, ein Meister des psychologischen Romans, lebte 1933 in Berlin, als er als unerwünschter Autor vor den neuen Machthabern fliehen mußte. Über die Tschechoslowakei gelang ihm die Flucht nach Paris, wo er seinen letzten Roman „Ich – der Augenzeuge“ schrieb. Darin behandelt und heilt er als Arzt in einem Feldlazarett den Gefreiten Adolf Hitler, dessen Opfer er und sein Volk später werden. Mit der Verhütung der Erblindung des Gefreiten setzt er die politische Dynamik des künftigen Diktators frei. – Als der deutsche Angriff auf Frankreich begann, bemühte sich Franz Mehring erfolglos, Ernst Weiß zum Verlassen von Paris zu bewegen. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in die französische Hauptstadt nahm er sich in seinem Hotelzimmer das Leben. Der 56jährige hinterließ 15 Romane, fünf Bände Erzählungen, zwei Dramen, einen Band Gedichte und einen Band Essays.

Alfred Kantorowicz, schon im Alter von 17 Jahren seit 1916 als Kriegsfreiwilliger an der deutschen Westfront im Einsatz und 1918 verwundet, verzeichnete in der Nachkriegszeit als Feuilletonredakteur großer Tageszeitungen und als Pariser Kulturkorrespondent der liberalen „Vossischen Zeitung“ erste berufliche Erfolge. Als Schriftsteller, Jude und aus Empörung bzw. als Protest über die Verurteilung des mit ihm befreundeten Herausgebers der „Weltbühne“, Carl von Ossietzky, seit 1931 Mitglied der KPD, blieb ihm, auf der Fahndungsliste der Nationalsozialisten stehend, nichts anderes übrig, als in den Untergrund abzutauchen und sich schließlich nach der für ihn aussichtslos gewordenen Situation nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 nach Frankreich ins Exil zu begeben.

Doch lesen wir nach, was andere über ihn geschrieben haben und er selbst über die ersten Jahre seines Exils in Frankreich berichtete: Von den öffentlichen Bücherverbrennungen am 10. Mai in allen deutschen Universitätsstädten erfuhr Alfred Kantorowicz in Paris, wo ihn schon bald die „fixe Idee“ nicht zur Ruhe kommen ließ, diesen Tag einmal zum „Ehrentag der freien deutschen Literatur“ zu machen. Der erste Gedanke war, in einem Archiv alle Informationen über die Unterdrückung von Publikationen und die Verfolgung von Schriftstellern, Wissenschaftlern und Künstlern in Deutschland zu sammeln, um die Erinnerung an sie zu bewahren. Daraus entwickelte sich das anspruchsvollere Projekt, eine „Bibliothek der verbrannten Bücher“ zu schaffen. Eine ungeheure Zähigkeit gehörte schon dazu, sich unter den Bedrängnissen des Exils an die Realisierung eines solchen Werks zu wagen und anschließend eine Bibliothek funktionsfähig zu halten.

Nachdem die Unterbringung in einem der Künstlerateliers am Boulevard Arago gesichert war, boten so viele Flüchtlinge ihre aus Deutschland geretteten Bibliotheken als Leihgabe an, daß nicht alle aufgestellt werden konnten.

Das „Pariser Tageblatt“ brachte in der Sonntagsbeilage am 6. Mai 1934 unter der Überschrift „Fanale der Barbarei“ einen Bericht des Sekretärs der „Deutschen Bibliothek des verbrannten Buches“, Alfred Kantorowicz, in dem der letzte Absatz lautete: „Nicht einmal die äußere Vernichtung dieser Werke ist ihnen gelungen. Demnächst wird in Paris die Deutsche Bibliothek eröffnet werden, in der alle verbrannten, verbotenen und unterdrückten Bücher zu finden sein werden. Das Komitee zur Schaffung einer Deutschen Bibliothek der verbrannten Bücher, dem unter dem Präsidenten Heinrich Mann und unter den Ehrenpräsidenten André Gide, Romain Rolland, H. G. Wells und Lion Feuchtwanger zahlreiche hervorragende französische, englische und deutsche Schriftsteller und Wissenschaftler angehören, hat beschlossen, die Deutsche Bibliothek in Paris, 65, Boulevard Arago, am Jahrestage der Autodafés, am 10. Mai, einzuweihen. An diesem Tag werden in England, in Amerika, in der Tschechoslowakei zugleich größere Veranstaltungen zugunsten der Deutschen Bibliothek stattfinden.“

Bei der Eröffnung der nun genannten „Deutschen Freiheitsbibliothek“ in Paris am 10. Mai 1934 verfügte sie über 11000 Bände, neben den im Dritten Reich verbotenen und zensierten Werken vor allem Darstellungen und Quellen zum Studium des internationalen Faschismus, ferner über die wichtigsten deutschen Zeitungen, eine Sammlung von rund 200000 Zeitungsausschnitten, Tausende von Flugblättern, illegalen Broschüren, Zeitschriften, Wandzeitungen, ins Ausland geschleusten Berichten, Briefen und Nachrichten aus dem innerdeutschen Widerstand. Die nötigen Gelder waren durch Sammlungen in Frankreich, England und der Schweiz aufgebracht worden. So wurden u.a. bei einem Empfang der Witwe des früheren englischen Premierministers Oxford so große Summen gespendet, daß der Bestand und die Arbeitsmöglichkeiten der Bibliothek für die nächsten Jahre gesichert waren. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs war sie ein geistiges Zentrum für die Exilierten und für viele an der Entwicklung in Deutschland interessierte Publizisten, Wissenschaftler und Besucher anderer Nationalitäten. Dann wurde die Mehrzahl der in Frankreich lebenden Deutschen interniert, die Bibliothek polizeilich geschlossen.

Ein Jahr nach der Eröffnung der „Deutschen Freiheitsbibliothek“ schrieb Alfred Kantorowicz an viele seiner im Exil lebenden Freunde einen Brief, dessen nachstehender Auszug lesenswert ist:

 „Heute, am 10. Mai 1935, sind zwei Jahre vergangen, seit auf öffentlichen Plätzen in den Haupt- und Universitätsstädten des Reiches frenetisierter Pöbel, angefeuert von Ministern und willfährigen Professoren, den Extrakt der fortschrittlichen deutschen Literatur seit Gotthold Ephraim Lessing in die Scheiterhaufen warf. Durch Haß und durch Unkenntnis getrübt, zelebrierten deutsche Studenten aller Orten mit ‘Feuersprüchen’ diesen Akt des Vandalismus. Auf dem Opernplatz in Berlin, zu mitternächtlicher Stunde, vor den flammenden Holz-scheiten, romantischer Kulisse, die die Wirklichkeit verdecken soll, hielt der Reichsminister Goebbels seine ‘Festrede’: ‘Das Alte liegt in den Flammen’, rief er aus. ‘Das Neue wird aus der Flamme unseres eigenen Herzens emporsteigen.“

Die Studenten, die SA, die Kleinbürger, die gekommen waren, einem romantischen Schauspiel beizuwohnen, sie glaubten an die Flamme des eigenen Herzens, worunter sich jeder das seine vorstellen mochte. Dieser Appell verlangte kein Nachdenken, er verlangte Hingebung. Er entsprach nicht der Wirklichkeit, aber dem Wunschtraum, in dem die bürgerliche Jugend jener Tage schwelgte. Ihnen allen hat ein beispielhafter Vertreter ihrer selbst das Wort geredet: Ernst von Salomon, der sagte: ‘Nicht um die Dinge zu wissen, war nötig, sondern ihnen hingegeben zu sein.’ Sie wußten nicht, was sie, bereitwillig und dienstbar den Verführern und falschen Magiern, den Flammen übergaben: Wegweiser der Vergangenheit und der Zukunft, ihrer eigenen Zukunft.

Diese Studenten wußten und wissen noch nicht, gegen was sie kämpfen und wofür sie kämpfen. Es ist ein armseliges Unterfangen, die historische Bedeutung eines Ludwig Feuerbach dadurch vergessen machen zu wollen, daß unausgegorener Pöbel, der keine Zeile seiner Schriften gelesen, geschweige denn begriffen hat, seinen Grabstein verwüstet. Unsinniges Beginnen, die Lehre von den wirklichen Verhältnissen der Menschen, die Marx und Engels gegeben haben, aus der Welt schaffen zu wollen mit dem Verbot ihrer und ihrer Nachfahren Schriften. Lächerlicher Anspruch, zu vermeinen, daß die Deutschen, die Heines Lieder lieben, sie vergessen könnten, weil einige Narren sie als undeutsch auf einen närrischen Index setzen. Und was für ein Unterfangen, mit einem Schlage beinahe die ganze zeitgenössische Weltliteratur vergessen machen zu wollen, von Selma Lagerlöf bis Gorki, von Gide bis Romain Rolland, von Dreiser bis Andersen Nexö, von Heinrich Mann bis Lion Feuchtwanger, von … bis …. Es gibt ja kaum einen Namen eines großen lebenden Schriftstellers, dessen Person und dessen Werk nicht gehaßt, verachtet, angegriffen, wenn nicht gar verboten oder verschwiegen wird. Es ist vergeblich, was sie planen, die Wahrheiten, die in der großen Literatur enthalten sind, als undeutsch zu diskriminieren. Niemals ist etwas dadurch undeutsch, daß es wahr ist, daß es der Freiheit und dem Fortschritt der Menschen zu dienen versucht hat…

Heute, am 10. Mai 1935, sind unsere Freunde in London, in Prag, in New York, in Boston und hier in Paris versammelt, um erneut die Notwendigkeit unserer Arbeit und unseres Kampfes zu bekennen. Wir versprechen, uns nicht klein kriegen zu lassen. Wir vertreten hier auf diesem kleinen Sektor des großen Kampfes mit unseren schwachen, aber ganz hingegebenen Kräften, die Zukunft, die über eine fatale Gegenwart triumphieren wird. Wir marschieren an der Seite der Wahrheit, die nicht auf die Dauer verfälscht werden kann, ebensowenig wie die großen Wahrheiten der Weltliteratur auf die Dauer den dummen Lügen und den brutalen Repressalien der Betrüger unterliegen können.“

Mit den folgenden Worten aus einer Rede von  HANS  MAYER, dem von 1935 – 1945 in Frankreich und in der Schweiz im Exil lebenden Professor für deutsche Literatur und Sprache, die dieser am 10. Mai 1948, also 15 Jahre nach der Bücherverbrennung, zum Thema „Die deutsche Literatur und der Scheiterhaufen“ gehalten hat, möge dieses dunkle Kapitel deutscher Kultur- und Hochschulgeschichte seinen Abschluß finden:

„Es ist unleugbar, daß die Geschichte des Dritten Reiches im Vergleich zu jenem Feuerzauber der brennenden Bücher weit grauenvollere Rückfälle ins Barbarische, in die Inhumanität scheinbar überwundener Kulturstufen zu verzeichnen hat.

Gegenüber Auschwitz und Maidanek und Oradour und Lidice, gegenüber Buchenwald und Dachau, gegenüber der Art, wie man die Geschichte von Jud Süß auf die Leinwand brachte, verblaßt das Grauen, das damals, im Mai 1933, noch als Ahnung oder Vorahnung die außerdeutsche Welt erfaßte.

Das war damals ein Schauspiel; und ein geheimer Mangel an Ernsthaftigkeit war unverkennbar. Die Art, wie man Bücher von Heinrich Mann und Ludwig Renn, von Jakob Wassermann und Erich Kästner, von Remarque oder Karl Marx oder Sigmund Freud auf den Holzstoß schleuderte, wirkte als Spektakel. Man verbrannte nur die Bücher, nicht aber die Autoren.“

 

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Weichert, Ernst, Jahre und Zeiten, Erlenbach 1949

Wulf, Josef, Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Gütersloh 1963

Wurtzbacher-Rundholz, Ingrid, Theodor Heus über Staat und Kirche 1933-1946, Frankfurt/M. 1986

Ziesel, Kurt, Das verlorene Gewissen. Hinter den Kulissen der Presse, der Literatur und ihrer Macht

Zweig, Arnold, Rückblick auf Barbarei und Bücherverbrennung, in: Geist und Zeit, Jg. 1958

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Nachtrag

Der berühmte Bonner Germanist Prof. Dr. Benno von WIESE, damals noch in Erlangen, war im 1933 Mitglied der NSDAP geworden und verfasste ein Buch.

Am 23. April sandte ihm ein Mitarbeiter des Hauptamtes für Presse und Propaganda der Deutschen Studentenschaft mit der Anrede „Lieber Herr von Wiese“ folgendes Schreiben:

 „…Ich habe heute ein Anliegen an Sie,

Im Rahmen der Boykottbewegung in Deutschland soll von der Deutschen Studentenschaft ein Kampf wider den undeutschen Geist durchgeführt werden. Um zu vermeiden, daß fast die ganze Antijudenbewegung im Wirtschaftlichen sich erstreckt, wird von der Studentenschaft ein Kampf gegen alles Undeutsche im Geistigen durchgeführt werden. Das soll sich erstrecken auf Literatur, Musik, Film, Theater, Kunst aller Art usw. Zugleich soll aber eigenes herausgestellt werden.

Im Rahmen dieser Woche, die auf den Deutschlandsender übertragen werden wird, soll am 3. Mai eine Veranstaltung stattfinden, auf der sprechen sollen der Minister …, der Professor (ein Literarhistoriker), der Dichter (Will Vesper), der Student … Das Inhaltliche ist noch nicht festgelegt worden.

Bei dem Professor habe ich an Sie gedacht. Würden Sie im Rahmen einer solchen Sache für uns reden? Welchen Inhalt könnte Ihre Rede haben? Wegen des Rundfunks und der Einheitlichkeit müsste die Rede vorher im Manuskript vorliegen. Die Kosten würde der Deutschlandsender tragen.

Ich möchte Sie bitten, uns einige Vorschläge zu machen, wie die Veranstaltung nach Ihrer Meinung aussehen müsste; ich bitte um recht baldige Mitteilung, ob Sie bereit sind, uns in unserem Kampfe zu unterstützen, und ob es Ihnen zeitlich passt, nach hier zu kommen…

Mit herzlichem Heil-Gruß“

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